BILGE UGURSU
- ARTISTIC HUB MAGAZINE

- vor 5 Tagen
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BERLIN | DEUTSCHLAND
Die Stille der Farben: Eine Welt, in der Gefühle Gestalt annehmen
In der Welt einer Künstlerin, die Gedanken als Bewegung und Emotionen als Farbe empfindet, wird jedes Gemälde zu einem Satz in einer stillen, kraftvollen Erzählung über das menschliche Dasein. Ihr künstlerischer Weg entspringt nicht dem Streben nach Erfolg, sondern dem Wunsch, sich selbst und die Welt durch Farbe, Bewegung und Rhythmus zu verstehen. Zwischen Leinwand und digitalem Raum, zwischen innerer Einkehr und Verbindung zu anderen, erforscht sie die Grenzen von Wahrnehmung, Bewusstsein und Gefühl. In ihrem Werk begegnen sich Wissenschaft und Poesie, Melancholie wird zu einem Ort der Verwandlung, und Kunst wird zur Sprache für das, was Worte nicht ausdrücken können.
In diesem Gespräch mit dem Artistic Hub Magazine erzählt sie, wie ihre Bilder entstehen, wie Emotionen Form annehmen und warum Kunst für sie der ehrlichste Weg bleibt, Menschlichkeit zu begreifen.

Wenn du auf deinen künstlerischen Weg zurückblickst - wann hast du zum ersten Mal gespürt, dass Malerei und Kunst deine Sprache und dein Beruf werden könnten?
Ich glaube, ich wusste es schon immer, selbst als Kind, bevor ich es benennen konnte. Damals war ich nicht besonders kommunikativ. Worte fielen mir schwer, also drückte ich mich durch Zeichnungen aus. Das war meine Art zu sprechen, auch mit meinen Eltern. Sie wussten wahrscheinlich lange vor mir, dass die Malerei ein wichtiger Teil meines Lebens werden würde. Offiziell wurde sie 2017 zu meinem Beruf, als ich begann, meine Werke einem größeren Publikum zu zeigen. Natürlich hatte ich schon zuvor ausgestellt, aber 2017 markiert den Beginn meines künstlerischen Weges, so wie er heute ist. Es dauert immer eine Weile, bis man seine eigene Stimme und Richtung findet, denn das ist etwas anderes als einfach nur malen zu können. Entscheidend ist, etwas zu sagen zu haben - das verleiht der Kunst Richtung und Sinn. Vor 2017 habe ich einfach gemalt, aber damals habe ich zum ersten Mal meine eigene Stimme gefunden.
In deiner Arbeit besteht ein deutlicher Dialog zwischen klassischer Malerei und digitalem Ausdruck. Was bedeutet dieser Übergang von einem Medium zum anderen für dich, und wie entscheidest du, ob ein Werk auf Papier bleibt oder in den digitalen Raum übergeht?
Das hängt immer davon ab, wie sich ein Werk entwickelt. Malen ist ein sehr intuitiver Prozess, und jedes Werk hat seinen eigenen Rhythmus. Jede Malerin und jeder Maler versteht, was ich meine, wenn ich sage, dass das Bild spricht. Manchmal ruft es nach intensiveren Farben, nach Energie und Bewegung, die erst im digitalen Raum lebendig werden. Andere Werke fühlen sich vollständig an, so wie sie sind - sie sind empfindsamer, stiller. Wenn ich noch eine Farbe, Figur oder ein Detail hinzufüge, würde ich ihre Essenz verlieren. Dann weiß ich, dass ich es so lassen muss. Das Gemälde entscheidet selbst, wo es leben möchte. Ich höre einfach zu.

Du sprichst oft über die Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft und darüber, wie Psychologie und Neurowissenschaften neue Wege eröffnen, Wahrnehmung und Emotion zu verstehen. Wie beeinflusst dieser Teil deines beruflichen Lebens die Gesten, die du auf der Leinwand machst?
Für mich sind Wissenschaft und Kunst untrennbar. Das Verständnis von Psychologie und Neurowissenschaften prägt zutiefst, wie ich sehe und damit auch, wie ich male. Es schenkt mir neue Farben und Formen, die ich auf der Leinwand erkunden kann. Mich beschäftigt, wie das Gehirn Emotionen in Wahrnehmung übersetzt, wie wir unsere inneren Welten formen, was uns bewegt und was uns bricht. Das Lesen und Forschen zu diesen Themen beflügelt meine Fantasie immer wieder. Deshalb kann ich Kunst und Wissenschaft auf meinem Weg nicht trennen - beide sind Versuche, zu verstehen, was es bedeutet, Mensch zu sein.
Die Titel deiner Werke – etwa Comfortably Numb, Anesthesia oder Orbits of Silence - tragen eine starke emotionale Botschaft. Entstehen die Titel zu Beginn als Leitidee, oder kommen sie erst am Ende als Spiegel dessen, was das Werk offenbart hat?
Das Gefühl hinter dem Titel ist von Anfang an da. Es ist der emotionale Samen, aus dem das Bild wächst. Es beginnt als Empfindung, als etwas Wortloses, dem ich folge, bis sich Figuren zeigen. Der konkrete Titel entsteht meist erst später, wenn das Werk vollendet ist. Doch das Gefühl ist von der ersten Pinselbewegung an präsent - es ist das, was mich überhaupt zum Malen bringt.

In Serien wie Echoes of Blues and Love and Sickness spürt man Melancholie, innere Konflikte, aber auch stille Stärke und Wandlung. Wenn du diese Arbeiten heute betrachtest, siehst du sie eher als persönliches Gefühlstagebuch oder als universelle Geschichten, in denen sich das Publikum wiederfindet?
Ich sehe all meine Serien als persönliche Tagebücher. Sie sind wie Seiten, gefüllt mit meinen Emotionen, Gedanken und Beobachtungen anderer. Doch das macht sie nicht weniger universell. Melancholie ist ein zutiefst menschliches Gefühl. Wenn ich sie male, beginnt sie als meine Geschichte, aber in dem Moment, in dem jemand vor dem Bild steht, wird sie auch zu seiner Geschichte. Wenn jemand eines meiner Werke sieht und etwas fühlt - selbst etwas, das ich nie beabsichtigt habe - verwandelt es sich in seine eigene Geschichte. Dieser Austausch, dieses stille Gespräch zwischen mir und der Betrachterin oder dem Betrachter, ist das, was ich an Ausstellungen am meisten liebe. Dort verweben sich unsere Geschichten, und Kunst wird zur Sprache, die uns verbindet. Genau das ist das Schönste an Ausstellungen. Es erinnert mich daran, wie tief wir alle miteinander verbunden sind. Solche Begegnungen inspirieren mich immer wieder. Meine Werke sind also sowohl persönlich als auch universell.
Love and Sickness
Wenn du ein Werk aus deiner Sammlung auswählen würdest, um seine Entstehung zu erzählen - welche Emotionen es geformt haben und wie du es heute siehst - welches würdest du wählen und warum?
Das ist eine schwierige Frage, sie sind alle wie meine Kinder, jedes hat seinen eigenen Herzschlag. Doch Anesthesia nimmt in mir einen besonderen Platz ein. Es entstand aus einer sehr persönlichen Erfahrung und fängt diesen schwebenden Moment zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein ein, den zarten Übergang zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. Viele Menschen haben mir gesagt, dass sie diesen Zustand spüren können, wenn sie das Bild betrachten - das macht es für mich noch bedeutsamer. Es ist selten, dass ein Werk sowohl die persönliche als auch die technische Entwicklung so vollständig widerspiegelt. Deshalb empfinde ich es als eines der wichtigsten Bilder, die ich je gemalt habe.
Wenn du an die kommenden Jahre denkst, wie stellst du dir deinen künstlerischen Weg vor? Eher als intime Zyklen im Atelier oder als größere Projekte und Kooperationen mit Öffentlichkeit und Gemeinschaft?
Mein Weg beginnt immer in der Stille, in der Ruhe meines Ateliers zu Hause, wo die Zeit langsamer vergeht. Diese Stille schenkt mir die Freiheit zu forschen und zu entdecken. In den letzten Jahren, seit meine Arbeiten mehr Menschen erreichen, habe ich jedoch gespürt, wie sehr Verbindung das Schaffen prägt. Zu sehen, wie sich der Ausdruck im Gesicht einer Person vor einem Bild verändert, ihre Geschichten zu hören, ihre Gefühle zu teilen - das ist unbezahlbar. Fremde werden in diesen Momenten zu Spiegeln, und ihre Emotionen reflektieren sich in mir. Solche Begegnungen lassen mich lebendig fühlen.
Ich brauche weiterhin die Intimität meines eigenen Raumes, aber ich fühle mich auch zu größeren Projekten und Kooperationen hingezogen - zu allem, was Kunst mit mehr Menschen in Kontakt bringt. Das Leben ist kurz, und sein Sinn kann leicht verloren gehen. Ich möchte meine Zeit damit verbringen, zu schaffen, zu teilen und zuzuhören. Ich möchte so viel Kunst und Menschlichkeit wie möglich weitergeben, solange es mir geschenkt ist.

Mit Gemälden, die ihren eigenen Rhythmus atmen, und Titeln, die Emotionen widerspiegeln, erinnert uns die Künstlerin daran, dass jede Farbe, jede Bewegung und jeder Moment des Bewusstseins Teil unserer gemeinsamen menschlichen Erfahrung ist. Ihr Werk verbindet das Persönliche mit dem Universellen und macht Selbstreflexion zu einer Brücke zwischen Herz und Verstehen. In der Stille, in der ihre Kunst entsteht, zeigt sich Kreativität in Verbindung, Präsenz und Aufrichtigkeit, jenseits der Worte.









