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ALT IST NEU

Eine Revolution, die man nicht auf dem Laufsteg sieht – aber in unserem Bewusstsein spürt

In der Modewelt vollzieht sich leise ein Wandel. Einer, der nicht auf Werbetafeln prangt, nicht aus Fabrikhallen strömt und nicht im Glanz perfekt ausgeleuchteter Schaufenster inszeniert wird. Diese Revolution beginnt in einem Kleiderschrank, der nicht dir gehört – aber es könnte. In einer Handtasche aus den 70er-Jahren, die drei Jahrzehnte überdauert hat und jetzt Geschichten erzählt. In einer Jacke mit Flicken, die nicht kaschiert, sondern mit Stolz getragen wird. In einer Bewegung, die sich nicht am Neuen orientiert, sondern am Sinnhaften.


STARO JE NOVO_ARTISTIC HUB MAGAZINE

Während bis vor Kurzem noch jeder Schritt der Fast Fashion ins Rampenlicht rückte, richtet sich der Blick heute mehr und mehr auf Kleidung, die bereits ein anderes Leben hatte. Um etwas wertvoll zu finden, muss es nicht mehr neu sein. Secondhand-Stücke, einst das letzte Mittel für jene, die „keine Wahl“ hatten, sind zur bewussten Wahl einer Generation geworden, die verstanden hat: Stil ist keine Frage von Labels, sondern von Haltung. Fast 60 % der Gen-Z-Konsument*innen greifen heute regelmäßig zu gebrauchter Kleidung.

 

Doch die Rückkehr zum Alten bedeutet keineswegs einen Schritt zurück, ganz im Gegenteil, denn sie öffnet den Raum für eine Zukunft, in der Kleidung nicht nach wenigen Einsätzen auf der Mülldeponie landet. Nein sie strebt in einen Kreislauf von Wiederverwendung, Umdeutung und Wertschätzung. Mode, ja echte Mode, war nie für den Einweg gedacht.

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Eine Industrie, die bis zu 10 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht (Ellen MacArthur Foundation, 2021) und pro Sekunde eine Lkw-Ladung Kleidung auf Deponien schickt, sieht sich nun einem Spiegelbild gegenüber, dem sie lange ausgewichen ist. Und darin erkennen wir kein Designerlogo – sondern Spuren von Handarbeit, Umarbeitung, Achtsamkeit. Wir sehen Marine Serre, die aus karierten Tischdecken und alten Bettlaken Haute Couture macht. Wir sehen BODE, wo jedes einzelne Kleidungsstück aus vergessenen Stoffen mit Geschichte gefertigt wird. Wir sehen Bethany Williams, die sozialen Aktivismus und Recycling nahtlos miteinander verwebt.


Am eindrucksvollsten aber zeigt sich dieser Wandel im Alltag. In der Entscheidung, in diesem Monat nichts Neues zu kaufen. In dem Mädchen auf dem Flohmarkt, das weiß, dass hinter jedem alten Rock ein Tanz, eine Erinnerung, ein Geschmack steckt. Oder in der Künstlerin Nicole McLaughlin, die Turnschuh-Taschen, Regenjacken und Etiketten in tragbare Statements verwandelt. Ihr Croissant-BH – auf den ersten Blick humorvoll, in Wahrheit ein scharfer Kommentar zur Überproduktion – ging um die Welt, mit einem Lächeln und einem Hauch von Genie.

 

Es geht längst nicht mehr nur um Ökologie, auch wenn sie die Grundlage bildet. Die Wiederverwendung eines einzigen Kleidungsstücks kann die CO₂-Emissionen im Vergleich zum Neukauf um bis zu 80 % senken (ThredUp Report, 2023). Und es geht auch nicht nur um Ethik, obwohl weniger als 2 % der Textilarbeiter*innen weltweit einen existenzsichernden Lohn erhalten (University Policy Report, 2022) - was die Branche grundlegend hinterfragen muss. Es geht um etwas Tieferes: einen kulturellen Wandel. Um eine neue Sichtweise auf Kleidung. Sie ist nicht mehr bloß Zierde, sondern Ausdruck – dafür, wer wir sind, was wir unterstützen und welche Spuren wir hinterlassen.

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Deshalb bieten Plattformen wie Vestiaire Collective, The RealReal, Depop oder Vinted nicht einfach Produkte an. Sie liefern eine neue Denkweise. Wer ihre Kleidung trägt, kauft keine Ware, sondern ein Konzept. Dass Stil nicht mit Geschwindigkeit zu tun hat, sondern mit Inhalt. Dass Kleidung eine Biografie haben kann. Dass ein Pullover, der schon einmal jemanden gewärmt hat, wieder einen Körper findet, der ihn mit Bedeutung trägt.

 

In diesem Kontext bedeutet „Resale“ keinen Wertverlust. Ganz im Gegenteil: The RealReal verzeichnet eine wachsende Nachfrage nach „abgenutzten“ Luxusstücken – als Symbol für Authentizität. Und Vestiaire Collective ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat Fast Fashion ganz bewusst von seiner Plattform verbannt (Forbes, 2022), um eine klare Grenze zwischen Konsum und Bewusstsein zu ziehen. Diese neue Welle der Mode ist keine bloße Reaktion auf eine Krise. Sie ist ein künstlerischer Akt. Etwas nicht wegzuwerfen. Etwas neu zu sehen. Etwas neu zu nähen. Sie ist die Stille im Lärm. Die Tiefe im Oberflächlichen. Und deshalb gehört sie euch – den Leser*innen – die wissen, dass Mode nicht laut sein muss, um gesehen zu werden.

 

Denn wahre Schönheit liegt nicht im Neuen. Sondern im Sinn. Und diesen Sinn, ja mehr denn je zuvor, tragen wir heute auf unserer Haut.

 

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