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ABSEITS DER WEGE

Eine Reise, die sich nicht an Orten misst, sondern an dem, was sie in uns bewegt

Es gibt Augenblicke unterwegs, die sich erst viel später als wesentlich erweisen. Nicht der Ort, den man sehen wollte. Nicht das, was man geschafft hat. Sondern ein Blick, ein Moment des Stillstands, ein Stück Zeit, das sich nicht beeilte. Oft erkennt man es erst zuhause, wenn Erinnerungen nicht in Reihenfolge auftauchen, sondern in der Intensität, mit der sie geblieben sind.

 

Jetzt, da sich die Welt wieder öffnet, haben solche Momente an Bedeutung gewonnen. Es geht vielen nicht mehr darum, etwas abzuhaken, durch Menschenmengen zu drängen oder Bilder für andere festzuhalten. Sie möchten da sein - ganz. Und etwas finden, das sich nicht in Attraktionen verwandelt hat.

 

Manche Orte haben Grenzen gezogen. In Venedig zahlen Tagesgäste inzwischen Eintritt. Dubrovnik beschränkt die Zahl der Kreuzfahrtschiffe. In Barcelona verschwinden Ferienwohnungen aus den Stadtvierteln. Nicht aus Prinzip, sondern aus Notwendigkeit. Damit Städte sich selbst nicht verlieren. Es geht längst nicht mehr nur um Angebote, sondern um Maß.

 

The rolling, cultivated hillsides of southwestern Uganda_ Credit ©2009 CIAT Neil Palmer
The rolling, cultivated hillsides of southwestern Uganda, Photo Credit ©2009 CIAT Neil Palmer

Gleichzeitig verändert sich die Art zu reisen. Es zieht Menschen an Orte, die bleiben lassen. Die nicht fordern. Die nicht laut werden. Dort, wo Tage still beginnen und unaufgeregt enden.

In einem Tal in Bhutan führt ein Pfad zu einem Kloster, das sich erst zeigt, wenn man davorsteht. Der Weg dorthin braucht Zeit, doch niemand fragt, warum du später kommst. In diesem Land über den Wolken ist Reisen bewusst begrenzt, aus Rücksicht. Auf die Natur. Auf die Kultur. Auf Menschen, die nicht möchten, dass Eile ihr Leben verändert. In Bhutan sprechen die Stimmen ruhig, die Bewegungen sind weich, das Lächeln trägt Zeit in sich. In dieser Stille wird manches hörbar, was sonst im Alltag untergeht.

 

Im Südwesten Ugandas verbringen Berggorillas ihre Tage im Nebelwald, ungestört, ganz bei sich. Es braucht Stunden zu Fuß, bis man ihnen begegnet. Und wenn es geschieht, spürt man, man ist nicht gekommen, um zu sehen. Sondern um dabei zu sein. In der Nähe teilen die Batwa, einst Hüter des Waldes, ihre Geschichten mit jenen, die bereit sind zuzuhören. Sie zeigen, wie man Feuer macht ohne Zündholz, Heilung findet in Rinde und vor allem, wie man einen Ort achtet, der einem nicht gehört, aber einen trotzdem empfängt.

Scotts Head ,Dominica_Photo by Kaspar C._ARTISTIC HUB MAGAZINE
Scotts Head ,Dominica, Photo by Kaspar C.

Dominica, eine Insel in der Karibik, widersetzt sich dem schnellen Blick und lässt dem Regenwald die Freiheit bis ans Meer zu fallen. Quellen sprudeln unter Baumwurzeln. Riffe sind unberührt, niemand schnürt sie ein. Wale sind hier nicht Programm, sondern gegenwärtig. Alles fließt in einem Takt, der nicht beeindrucken will, sondern uns Menschen weich zu stimmen vermag. In den Dörfern hat Zeit ein anderes Tempo. Manch Einer wird sich denken: Hier gefällt es mir, warum bleibe ich nicht einfach?


Bolivien steht selten auf Reiselisten oder Berichten. Doch wer dort gewesen ist, kehrt mit Geschichten zurück, die man nicht erzählen muss, sondern ein Leben lang bewahrt. Am Titicacasee leben Menschen auf Inseln aus Schilf, die sie selbst geflochten haben. Auf dem Altiplano verschwimmen Salz und Himmel zu einem Spiegel, in dem die Zeit sich verliert. In La Paz, wo sich Gassen Richtung Himmel winden, erzählen Mauern von Dingen, die in Büchern fehlen. Das Essen ist einfach, aber geerdet. Alles wächst aus dem Boden und wird geachtet. Sogar die Kartoffel hat hier unzählige Namen.


View across lake Titicaca towards Bolivia_Photo by Neil Moralee_ARTISTIC HUB MAGAZINE
View across lake Titicaca towards Bolivia, Photo by Neil Moralee

Ganz im Süden, dort wo Australien ins Meer abklingt, liegt Tasmanien. Der Südwesten der Insel ist nur zu Fuß oder per Boot erreichbar. Und wenn man ankommt, ist da nichts als Weite. Der Granit spiegelt sich im Wasser, Eukalyptusbaumblätter rascheln in der Luft und nachts sieht man nur noch Sterne – Eindrücke die den Atem stocken lassen. Wer dich dorthin begleitet, nennt sich nicht Guide, sondern passt sehr gut auf. Zeigt dir, wie man geht, ohne zu stören, wie man nichts mitnimmt, außer ein unvergessliches Erlebnis.


Tasmania, Photo by HK.Colin_ARTISTIC HUB MAGAZINE
Tasmania, Photo by HK.Colin

Diese Orte wollen einfach nur entdeckt werden. Doch wenn man sie findet, bleiben sie. Denn wenn du irgendwo ankommst, wo dich niemand erwartet und du trotzdem willkommen bist, merkst du, es eilt nicht. Was du suchst, ist längst da.

 

In einer Welt, die ständig beschleunigt, lernt man abseits der Wege wieder tief zu atmen. Vielleicht genau dort, auf einer Bank aus Stein, im Blick ein Vogel, dessen Namen du nicht kennst, im Gespräch mit jemandem, der deine Sprache nicht spricht, aber dein Schweigen versteht, vielleicht genau dort spürst du, dass du angekommen bist.

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