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KSENIA MAZHEYKO

MADRID, SPAIN

Herz der Welt

Kunst als Weg zum Verständnis des Lebens

 

Dort, wo sich Kunst und Wissenschaft berühren, entsteht ein Raum, in dem Fragen tiefer werden und Antworten leiser. In ihrer Serie Im Herzen der Welt lädt die Künstlerin zu einer intimen Reise ein – durch den Körper, durch die Natur, durch die unsichtbaren Strömungen des Lebens. Ihre Werke entspringen einem inneren Dialog zwischen Forscherin und Künstlerin, indem Intuition und Struktur gemeinsam eine Brücke schlagen, hin zu einem tieferen Verständnis des Daseins. Es ist eine Geschichte über Körperlichkeit, über Grenzen und über die stille Schönheit eines Herzschlags. Eine Geschichte darüber, wie Kunst selbst zum Instrument werden kann, um das Leben zu erforschen.


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Ksenia Mazheyko, Conceptual Artist

Deine Arbeit vereint Wissen, Feinfühligkeit und vielfältige Interessen auf einzigartige Weise. Kannst du uns mehr über deinen persönlichen und beruflichen Weg erzählen, der dich zu deiner heutigen künstlerischen Praxis geführt hat?


Meine Eltern sind beide Wissenschaftler*innen. Mein Vater ist Physiker, meine Mutter Neurologin. Als ich ein Kind war, arbeiteten sie beide an ihren Habilitationen. Mein Vater erforschte Aggregatzustände – dabei hatte er so viele faszinierende Aufnahmen von Mikroobjekten. Und in der Klinik meiner Mutter hingen Röntgenbilder, die die neurologischen Folgen von Geburtstraumata zeigten. Als ich ungefähr acht war, fragte meine Mutter, ob ich lernen wolle, Röntgenbilder zu interpretieren. Ernsthaft – welches achtjährige Kind träumt nicht davon? Sie wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern erklärte mir gleich das Grundprinzip: Die Natur ist schön. Wenn ein Bild schön aussieht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Mensch gesund ist. Vielleicht begann da meine Liebe zur verborgenen Schönheit der Welt. Das Interesse dafür, was sich im Inneren abspielt. Für das, was man nicht auf den ersten Blick sieht.


Für die stille, logische Ordnung der Dinge. Später, als Teenagerin an der Kunstschule, faszinierte mich vor allem eines: Konstruktion. Beim akademischen Zeichnen geht es darum, Strukturen zu verstehen – nicht nur Eindrücke wiederzugeben. Es zählt nicht, wie etwas auf dich wirkt, sondern wie es wirklich aufgebaut ist. Die Lehrer*innen fragten: Wo ist das Zentrum der Figur? Wie ist das Gewicht verteilt? Das sieht man nicht direkt – man muss es herausfinden.


Man sucht nach dem inneren Zusammenhang, baut auf, statt nur abzubilden. Diese Suche hat mich am meisten begeistert. Später habe ich Philosophie studiert. Diese visuelle Art zu denken hat mir dabei sehr geholfen, besonders beim Umgang mit abstrakten Konzepten. In meinem ersten Studienjahr hatten wir wöchentliche Seminare zur klassischen Philosophie. Wenn wir lange Argumentationsketten von Platon durcharbeiteten, stellte ich mir dreidimensionale Formen im Raum vor – als würde ich versuchen, das innere Gefüge der Gedanken sichtbar zu machen. Ich kann mich kaum an eine Lebenssituation erinnern, in der ich mich nicht gefragt habe: Was liegt dahinter? Was trägt das Ganze? Gibt es ein solides Gerüst, das es möglich macht? Und immer wieder visualisieren. Komplexe Ideen verstehe ich besser, wenn ich sie zeichne. Rückblickend würde ich sagen, mein innerer Dialog verläuft fast immer zwischen zwei Stimmen. Eine erklärt. Die andere zeichnet. In meinem Kopf sind das die Stimme der Wissenschaft und die der Kunst. Wenn ein Gedanke schön ist und sich auf überzeugende Weise visualisieren lässt, sind sich beide einig. Dann spüre ich inneren Frieden.


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Holy heart 2

In deinen Texten begegnen sich Kunst und Wissenschaft nicht nur – sie sind tief miteinander verflochten. Wie siehst du heute ihr Verhältnis, und wo, deiner Ansicht nach, endet das Wissenschaftliche und beginnt das Künstlerische?


Vielen Dank für diese wunderbare Frage. Je mehr ich darüber lese und nachdenke, desto klarer wird mir, dass die Verwandtschaft zwischen Kunst und Wissenschaft weder bloße Einbildung noch eine romantische Idee ist. Überraschenderweise scheinen Wissenschaftler*innen oft offener für die Kunst zu sein als umgekehrt. Ich lese gerade Edward O. Wilsons The Meaning of Human Existence. Er schreibt, dass die ewigen Fragen über unsere Natur, unser Dasein und unseren Sinn – sofern sie überhaupt beantwortbar sind – nur durch eine gemeinsame Anstrengung zwischen dem, was er „Wissenschaft“ nennt, und den „Humanities“, also auch den bildenden Künsten, beantwortet werden können. Wenn wir das Thema mit gesundem Menschenverstand betrachten, sind Kunst und Wissenschaft zutiefst menschliche Unternehmungen. Und beide beginnen mit Neugier, oder nicht? Institutionell haben sie natürlich unterschiedliche Wege, Paradigmen und Standards. Es gibt Grenzen aber für mich sind diese Grenzen gemacht. Denn wenn wir zwei Menschen zusammensetzen, einen Wissenschaftlerin und einen Künstlerin, wie unterschiedlich sind sie wirklich? Ihre Motivation ist oft erstaunlich ähnlich. Beide haben den Mut, über das Bekannte hinauszugehen, das Ungewisse zu erforschen, nach dem Unsagbaren zu suchen. Sie sind wie Kinder, die nie geglaubt haben, dass das Wort „unmöglich“ wirklich etwas bedeutet.

 

Was sie unterscheidet, ist die Methode – also was sie konkret tun, wie sie mit ihrer Intuition arbeiten. Künstlerinnen geben ihrer Intuition eine ästhetische Form: ein Gedicht, ein Lied, ein Gemälde oder einen Film. Sie wenden sich an ihr Publikum und sagen: Das ist mein Gefühl – was löst es in dir aus? Was spürst du dabei? Wissenschaftlerinnen entwerfen Experimente, sammeln und analysieren Daten. Dann präsentieren sie ihre Ergebnisse und fragen: Was denkst du?

 

Am spannendsten ist für mich jedoch das, was im Publikum geschieht – wenn es mit einem großartigen Kunstwerk oder einer bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckung in Berührung kommt. Kunst bringt uns zum Nachdenken – nicht nur zum Fühlen. Wissenschaft berührt unser Herz – nicht nur unseren Verstand. Beides ruft eine tief integrierte Reaktion hervor, jenseits von bloßer Rationalität oder Emotion.

Deshalb sind „Kunst“ und „Wissenschaft“ für mich letztlich nur Umschläge, in denen echte Kreativität wohnt.

 


Du sprichst oft über die Methode als Schlüssel zum Verständnis – sowohl in der Kunst als auch in der Wissenschaft. Folgst du einer bestimmten künstlerischen Methode, oder führt dich jedes Werk auf einen eigenen Weg?


Du hast völlig recht. Für mich ist Methode tatsächlich ein Schlüssel. Es ist die Art und Weise, wie wir etwas tun. Sie setzt voraus, dass wir einen Ausgangspunkt haben – und ein konkretes Ziel. Ganz einfach gesagt: Methode heißt, zu überlegen, was in der aktuellen Situation zu tun ist, um dorthin zu gelangen, wo wir hinwollen. Mein künstlerischer Weg steht noch am Anfang. In diesem frühen Stadium meines Projekts gibt es keine festgelegte Methode. Ich bin noch auf der Suche. Was ich habe, ist eine Intuition. Und ich bin damit nicht allein – es wird viel darüber diskutiert, dass künstlerische Praxis tatsächlich Erkenntnisse hervorbringen kann. In mir ist der tiefe Glaube verankert, dass Kunst ein Werkzeug sein kann, um die Welt zu erforschen – nicht nur im übertragenen Sinn. Mein Ziel ist es, alle denkbaren Wege auszuprobieren, um diesen Glauben zu überprüfen. 

 

Darf ich kurz einen Schritt zurückgehen und eine kleine Geschichte erzählen? Ich erinnere mich an einen Tag, an dem mein Vater sichtlich niedergeschlagen aus dem Labor kam. Ich fragte ihn, was los sei. Er antwortete: „Schatz, wir haben fast zwei Monate lang ein Experiment vorbereitet. Heute haben wir es endlich durchgeführt – aber die Ergebnisse waren völlig unerwartet. Und jetzt wissen wir nicht, wie wir sie erklären sollen.“ Das hat mich zum Nachdenken gebracht: Was wäre, wenn in solchen Situationen künstlerische Methoden helfen könnten? Wenn man wissenschaftliche Ideen, theoretische Probleme oder offene Fragen in eine künstlerische Form bringt – könnte das neue Perspektiven eröffnen? Und noch weitergedacht: Könnte die künstlerische Praxis selbst als eine Art Experiment funktionieren? Wie würde ein solches Experiment gestaltet sein? Welche Methoden wären nötig, um glaubwürdige, nachvollziehbare Ergebnisse zu erzielen? Aber wie gesagt – ich stehe erst am Anfang. Noch habe ich vor allem Fragen.

 

Mit der Serie Im Herzen der Welt hatte ich mir vorgenommen, Herzstrukturen mit nur einem Pinselstrich zu zeichnen. So wie ein Herzschlag – jeder Strich sollte Bedeutung tragen. Die großen Fragen waren: Welche Bewegungen braucht es? Wie stark, wie schnell, in welche Richtung? Ich habe Verschiedenes ausprobiert, aber die ersten Bilder wirkten nicht lebendig. Irgendetwas fehlte. Dann erinnerte ich mich an etwas, das meine Mutter mir einmal sagte: Die Natur ist immer schön. Also entschied ich, dem Blut zu folgen, seinen Wegen durch Gefäße und Herzkammern. Ich versuchte, körperlich zu spüren, wo es sich beschleunigt, wo es langsamer wird, wie der Druck seine Form bestimmt.

 

Am schwierigsten war das „Nautilus-Herz“, weil ich kein einziges Bild davon finden konnte. In mehreren wissenschaftlichen Publikationen wurde nur erwähnt, dass der Nautilus ein Herz mit fünf Kammern besitzt – aber es gab keine Darstellung. Natürlich hätte ich auf die Zeichnung verzichten können, aber gerade das war eine wunderbare Gelegenheit zum Experimentieren. Ich sammelte alles, was ich über den Nautilus finden konnte – seine Gewohnheiten, sein Lebensumfeld, seine Anatomie und Physiologie. Ich versuchte zu spüren, wie langsam sein Blut wohl fließt und wie kräftig seine Vorhöfe es pumpen müssten. Dann suchte ich nach einer visuellen Referenz – und fand sie in einem Maulbeerblatt: zart, aber mit kraftvollen Adern. Ich entschied mich, einen Abdruck davon zu machen und ihn als Form für die Herzkammer zu verwenden.

 

Für mich fühlt sich das Ergebnis stimmig an. Ich bin gespannt, wie andere es wahrnehmen.

 

"At the Heart of the World" (2024)

 

In deiner Serie Im Herzen der Welt verwendest du das Herz als Symbol für das Wesen des Lebens – um unsichtbare Schichten des Daseins auszudrücken. Wie ist diese Serie entstanden, und was bedeutet dir dieses metaphorische Herz?


Im Herzen der Welt ist mein erster Versuch, mich einer gewaltigen Aufgabe zu nähern, die ich mir selbst gestellt habe: der künstlerischen Erforschung der menschlichen Körperlichkeit. Sie entspringt einem persönlichen Bedürfnis, Frieden mit meinem eigenen Körper zu schließen. Diese Trennung zwischen Geist und Körper, unter der so viele Menschen leiden, kann viele Formen annehmen – Dysmorphophobie, Bulimie, Besessenheit vom äußeren Erscheinungsbild oder sogar Ekel vor natürlichen körperlichen Vorgängen. Wir verlernen oft, unserem Körper dankbar zu sein – für das Leben, das er trägt, für die Energie, die er erzeugt. Statt ihn zu pflegen, kämpfen wir gegen ihn an.

 

In meinem Fall ist es nichts Dramatisches. Ich fühle mich einfach nicht völlig wohl mit der Tatsache, dass ich einen Körper habe, den ich ernähren, waschen und ausruhen muss. Verrückt, aber wahr.

Irgendwann kam mir der Gedanke, eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Körperlichkeit zu beginnen. Ich bin Frau – und Mutter. In dem Moment, in dem ich den Körper meines Kindes trug, dieses kleine Wesen, das für mich vollkommene Perfektion ist und in mir nie Unbehagen ausgelöst hat, war da nichts mehr, was mich daran hinderte, auch meinen eigenen Körper metaphorisch zu tragen.

Ich beschloss, den Prozess der Ontogenese zeichnerisch nachzuvollziehen – in einer langen, durchgehenden Bildfolge.

 

Thomas Nagel fragte einst: „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ Ich erweitere diese Frage: Wie ist es überhaupt, ich selbst zu sein? Wo beginnt mein subjektives Erleben? Die körperliche Dimension dieser Subjektivität erschien mir als grundlegend – also konzentrierte ich mich auf meine physischen Empfindungen.

 

Das Erste, was mir auffiel, war mein Herzschlag. Ich sollte erwähnen: Es war Sommer. Im Winter hätte ich vielleicht zuerst die Kälte gespürt – wer weiß? Es war auch ein Versuch, all die kulturellen und metaphorischen Schichten abzulegen, die sich um das Herz als Symbol gebildet haben. Manchmal machen wir Dinge komplizierter als sie sind. Manchmal bedeutet das Herz einfach das Herz – und bleibt dabei erstaunlich schön und voller Bedeutung. Allein die Tatsache, dass es Blut pumpt, ist für unsere Spezies, für alle Lebewesen und für die Entwicklung der Biosphäre von immenser Bedeutung. In diesem Sinne hast du recht: Ich lege eine unsichtbare Schicht frei, die vielleicht die wörtlichste – und zugleich wesentlichste – ist, und doch so oft vergessen wird. E. O. Wilson sagte einmal: „Die Natur ist einfach. Wir müssen nur lernen, sie zu verstehen.“ 

 

Kultur und Zivilisation hingegen geben oft vor, perfekter oder raffinierter zu sein als die Natur selbst. Das ist sowohl überheblich als auch unrealistisch. Um auf deine Frage zurückzukommen: Was bedeutet dieses metaphorische Herz für mich? Es ist ein Moment der Stille, der Bewunderung – ein stiller Akt der Ehrfurcht vor der Natur. Der ständige Konflikt mit ihr – sei es durch Ignoranz, durch das Streben nach einem perfekteren Körper oder durch den Versuch, natürliche Grenzen zu überwinden – bringt uns nicht zwangsläufig weiter. Diese Serie ist auch eine Einladung, zurückzublicken – auf hunderte Millionen Jahre Evolution – und zu erkennen: Unsere Körper sind das Ergebnis der genauesten natürlichen Selektion. Sie können nichts Geringeres sein als vollkommene Meisterwerke – und verdienen es, auch so behandelt zu werden.

 


In deiner Arbeit vereinen sich Kunst und Biologie, Intuition und Struktur, schwarze Tinte und leerer Raum – mit seltener Präzision. Wie wählst du Medium und Format, und welche Rolle spielen Begrenzung und Einschränkung in deinem kreativen Ausdruck?


Begrenzungen, Grenzen und sogar Einschränkungen sind unerlässlich für Wachstum. Das weiß jede*r, der schon einmal ein Kind begleitet hat. Nur eines sollte niemals eingeschränkt werden: die Vorstellungskraft. Alle anderen Grenzen schaffen einen Rahmen – und helfen uns, konzentriert zu bleiben. Vor etwa einem Jahr war ich in einer außergewöhnlichen Ausstellung von Marc Chagall in Madrid. Sie umfasste eine ganze Epoche, durch die er lebte – und die er uns in Form eines künstlerischen Testaments hinterlassen hat. Ich erinnere mich besonders an ein winziges Stück grauen Kartons mit unregelmäßigen Rändern. Darauf: eine Skizze mit Kohle, blauer und oranger Gouache. Das Werk stammte aus den frühen 1920er Jahren, den ersten Jahren der Sowjetunion.

 

Es hat mich tief berührt. Es ließ mich über die Kraft menschlicher Kreativität nachdenken – über das Bedürfnis, sich auszudrücken, selbst wenn man wie Chagall jeden Tag mit dem Tod rechnete. Seine extrem begrenzten Mittel ließen sein Genie nur noch stärker leuchten – wie bei allen Lebewesen, die ums Überleben kämpfen. Mein Medium folgt meinem Ziel. In dieser Phase meiner Recherche formuliere ich Hypothesen, sammle Fakten und vergleiche Ideen. Nicht umsonst sind meine Werke eine Art Notizen. Sie halten zentrale Gedanken fest, auf denen ich meine weitere Arbeit aufbauen werde. Ich muss schnell sein, anpassungsfähig, flexibel und präzise. Ich muss theoretische Ideen zügig durch meine Werke überprüfen – und die verwerfen, die sich als unbrauchbar erweisen. Kleine Formate und schnelle Techniken empfinde ich daher nicht als Einschränkung – im Gegenteil. Sie schaffen die idealen Bedingungen für meine künstlerische Forschung. Aquarell und Tusche sind wasserbasierte Medien – sie sind schwierig zu kontrollieren, aber genau darin liegt ihr heuristisches Potenzial. Sie zeigen auf dem Papier Nuancen meiner Ideen oder Deutungen, die mir im reinen Denken oft gar nicht bewusst sind. Ich schwöre: Mit Begrenzungen zu arbeiten ist spannend.

 

Ich arbeite derzeit an einer neuen Serie – im kleinen, quadratischen Format. Ich habe es während der Herz-Zeichnungen lieben gelernt. Es lässt sich leicht drehen – und das hat sich beim Turtle Heart als besonders stimmig erwiesen. Es wirkt aus jeder Perspektive – von links, von rechts oder sogar auf dem Kopf – immer anders und immer überzeugend.

 

Du kennst doch sicher das Konzept der Falsifikation von Karl Popper? Ganz vereinfacht geht es darum, wie man prüfen kann, ob eine Idee oder Theorie richtig oder falsch ist. Es gibt zwei Wege: Entweder man sammelt immer mehr Belege dafür – oder man versucht, sie zu widerlegen. Ein einziger Widerspruch reicht aus, um eine Theorie zu kippen – und Platz für die nächste Hypothese zu schaffen. Für mich ist das kleine quadratische Format genau das: ein Werkzeug, mit dem ich meine Zeichnungen „falsifizieren“ kann. Ich drehe sie, betrachte sie aus zwei Metern Entfernung – und sehe klar, ob sie stimmig sind oder nicht.

 

Natürlich bringt dieses Format mich auch näher an mein Publikum. Nicht nur, weil es leicht zu transportieren ist. Es ist auch leicht, mehrere Arbeiten nebeneinander zu betrachten – als Ensemble, als Konstellation. Ich hoffe, meine Leserinnen und Betrachterinnen können meinen Gedanken folgen. Ich gebe mein Bestes, um klar und nachvollziehbar zu bleiben.

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Fish heart

Du erwähnst Begriffe wie Anomalie, Intuition und Unlogik als Tore zu einem neuen Verständnis. Glaubst du, dass Kunst je objektiv sein kann – oder liegt ihre wahre Kraft in der Subjektivität?


Einerseits wird die Existenz einer sogenannten objektiven Welt – oder zumindest unsere Fähigkeit, sie wahrzunehmen – seit der Antike hinterfragt. Wir erinnern uns an Platons Höhle, Francis Bacons „Idole“ oder Kants Kategorien des Verstandes. Wenn man zudem den rasanten Wandel der Gegenwart bedenkt, erscheint es durchaus plausibel, dass selbst engste Familienmitglieder unterschiedliche Realitäten bewohnen können, obwohl sie denselben physischen Raum teilen.

 

Andererseits hat uns diese enorme Geschwindigkeit des Wandels, die allgegenwärtige Unsicherheit und die Vielzahl nie dagewesener Herausforderungen auf tiefgreifende Weise krank gemacht. Seit geraumer Zeit beobachten wir daher eine Hinwendung zu subjektorientierten Strategien wie „Wähle dich selbst“ oder „Sei, wer du wirklich bist“. Die Idee dahinter war einfach: Wenn wir der objektiven Welt nicht mehr trauen können, dann bleibt nur, uns selbst zu vertrauen. 

 

Was ich heute wahrnehme, ist jedoch eine leise Verschiebung. Die Suche nach innerer Resilienz weicht zunehmend einer Bewegung hin zur Gemeinschaft. Im Zentrum dieses Wandels steht, wie ich finde, die stille, aber bedeutende Auflösung der alten Trennung zwischen Objektivität und Subjektivität. Und gerade hier, in dieser Übergangsphase, sehe ich eine entscheidende Rolle für die Kunst. Es ist kein Zufall, dass viele heute von Kunst als einer neuen Form von Religion sprechen.

 

Ich würde sogar sagen: Die wahre Kraft der Kunst liegt in ihrer Intersubjektivität. Im Dialog mit Kunst offenbaren Menschen ihre Werte – oder werden sich zumindest bewusster, was ihnen im jeweiligen Moment wirklich wichtig ist. Kunst schafft Verbindung. Sie bringt Menschen zueinander. Sie ermöglicht, dass Menschen ihre Gemeinschaft finden – ihre Ideen, ihre Überzeugungen, ihre Orientierungspunkte.

Ich bin fest davon überzeugt, dass Kunst Orientierung bietet und Bedeutungen stiftet, die vielleicht nicht universell sind, aber doch weit über das individuelle Leben der Künstler*innen hinausreichen. Das ist die Art von Kunst, an die ich glaube.


Die Titel deiner Werke – wie Holy Heart, Golden Fish oder Aigrette – tragen oft eine biologische Grundlage in sich, verbunden mit einem spirituellen Ton. Wie entstehen diese Titel? Leiten sie das Werk oder folgen sie ihm?


Was für eine schöne Beobachtung. Ehrlich gesagt habe ich nie besonders viel über Titel nachgedacht. Sie entstehen meist während des Arbeitsprozesses – allerdings nicht unbedingt an einem konkreten Werk. Sie kommen immer vor der Vollendung. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich eine große Liebe zur Klarheit habe. Nach Wittgenstein: „Was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen.“ Genauso wünsche ich mir, dass meine Denkweise – so wie sie sich in meinen Arbeiten ausdrückt – für die Betrachtenden nachvollziehbar bleibt. In gewisser Weise sind diese Titel eine Einladung, unseren Blick ein wenig über die eigene Subjektivität hinaus zu richten – und aufzuhören, Dingen Bedeutungen zuzuschreiben, die ihnen gar nicht zukommen. Wir entfernen uns gefährlich weit von der Natur, die wir zunehmend nur noch als unerschöpfliche Ressource betrachten. Aber wir müssen unsere Haltung überdenken. Wir müssen lernen, die Natur wieder als das zu sehen, was sie ist:

 

Einen Fisch zu sehen – statt Nahrung.Eine Biene zu sehen – statt bloß ein Werkzeug zur Bestäubung.Unser Herz zu öffnen.Nicht nur zu nehmen – sondern auch zu geben.Und vielleicht – ganz allmählich – wieder menschlicher zu werden.


Vielen Dank.

Turtle heart_ARTISTIC HUB MAGAZINE
Turtle heart

Kunst und Wissenschaft – jede in ihrer eigenen Sprache – suchen nach derselben Wahrheit: Was es bedeutet, lebendig zu sein. Mit feinen Linien, Herzschlägen und der Stille des Papiers erinnert uns die Künstlerin hinter Im Herzen der Welt daran, dass echtes Verstehen dort beginnt, wo wir aufhören, gegen die Natur zu kämpfen – und anfangen, ihr zuzuhören. Ihr Weg bleibt offen, bescheiden und aufrichtig. Und vielleicht liegt gerade in dieser unvollkommenen Bewegung die wahre Kraft der Kunst: in ihrer Fähigkeit, uns zurückzuführen zu unserem ursprünglichen Rhythmus.

Dem Rhythmus des Lebens.



 

 

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