top of page

WIE BEEINFLUSSEN UNS FARBEN?

  • Autorenbild:  ARTISTIC HUB MAGAZINE
    ARTISTIC HUB MAGAZINE
  • 2. Okt. 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 3 Tagen

Obwohl sie auf den ersten Blick schlicht wirken, tragen Farben komplexe psychologische und kulturelle Bedeutungen in sich. Die Emotionen, die sie auslösen, hängen oft von unseren Erfahrungen, unserer kulturellen Prägung und sogar von unserer momentanen Stimmung ab.


Rot zum Beispiel – das Symbol für Leidenschaft, Leben und Kraft – kann bei Betrachterinnen völlig unterschiedliche Reaktionen hervorrufen: Aufregung oder Vorsicht, Liebe oder Wut. Diese Vieldeutigkeit nutzen Künstlerinnen gezielt, um in ihren Werken Emotionen zu wecken.


Photo by Denisova Olesya Alexandrovna, used under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license. Available at: Wikimedia Commons.
Mark Rothko, Artist


Der amerikanische abstrakte Expressionist Mark Rothko ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Erforschung der Wirkung von Farbe auf großformatigen Leinwänden. Seine Werke, die auf den ersten Blick schlicht erscheinen, entfalten eine tiefe emotionale Resonanz und versetzen Betrachter*innen in einen Zustand der Meditation oder stillen Reflexion.


Rothko war überzeugt, dass Farbe grundlegende menschliche Gefühle hervorrufen kann – selbst ohne erkennbare Formen. Seine weiten Felder aus Rot, Schwarz und Orange erzählen keine Geschichten, sie lassen Empfindungen entstehen.

Photo by Denisova Olesya Alexandrovna, used under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license. Available at: Wikimedia Commons.




Die Psychologie der Farben


Farben sind weit mehr als nur eine ästhetische Entscheidung; sie spielen eine entscheidende Rolle für unser seelisches und emotionales Wohlbefinden. Seit Jahrzehnten erforschen Wissenschaftler*innen, wie Farben auf Geist und Körper wirken – mit faszinierenden Ergebnissen. Jede Farbe stimuliert unterschiedliche Bereiche des Gehirns und löst emotionale Reaktionen aus, bewusst wie unbewusst.


Rot beispielsweise aktiviert das Nervensystem besonders stark. Studien zeigen, dass Rot den Blutdruck erhöht, den Herzschlag beschleunigt und sogar die Adrenalinproduktion anregt. Daher wird Rot häufig in Situationen eingesetzt, die Aufmerksamkeit erfordern – denken Sie an Warnschilder, Ampeln oder Werbeanzeigen. Der Futurist Umberto Boccioni nutzte Rot, um in seinen dynamischen Kompositionen Energie und Bewegung zu vermitteln, während Francis Bacon es einsetzte, um Unbehagen und Angst zu evozieren. Je nach Verwendung kann Rot zugleich kraftvoll und beunruhigend wirken.



ree

Image of Umberto Boccioni's 'La città che sale' from PICRYL, public domain. Available at - PICRYL


Blau hingegen hat eine beruhigende Wirkung. Untersuchungen belegen, dass Blau den Geist entspannt, den Blutdruck senkt und ein Gefühl der Gelassenheit fördert. Deshalb begegnet uns Blau oft in Räumen, die der Erholung dienen – in Schlafzimmern oder Krankenhäusern. In der Kunst steht Blau häufig für Nachdenklichkeit und Meditation. Yves Klein, berühmt für seine Erforschung der Farbe Blau, schuf Werke, die Betrachter*innen in tiefe Kontemplation versetzen.


ree

Gelb dagegen stimuliert das Gehirn. Es steht für Licht, Freude und Optimismus. Psychologische Studien zeigen, dass Gelb Energie und Kreativität fördert. Darum wird es häufig in Werbung und Arbeitsumgebungen verwendet, in denen Produktivität gefragt ist. In den Gemälden von Claude Monet symbolisiert Gelb oft Licht und Lebensfreude. Doch ein Übermaß an Gelb kann Unruhe oder Reizbarkeit hervorrufen – ein Phänomen, das auch die Farbpsychologie bestätigt.



Grün schließlich verbindet man mit Natur, Erneuerung und Harmonie – Assoziationen, die wissenschaftlich gut belegt sind. Grün reduziert Stress, entspannt die Augen und stärkt das Gefühl der Verbundenheit mit der Natur. Daher findet man es häufig in der Innenarchitektur und in Kunstwerken, die Ausgeglichenheit und Ruhe ausstrahlen sollen. Die Impressionist*innen setzten Grün ein, um Landschaften darzustellen und die Heiterkeit der Natur einzufangen.


Diese Erkenntnisse erklären, warum Künstler*innen ihre Farbpaletten mit solcher Sorgfalt wählen. Farben sind nicht bloß Oberflächenaspekte eines Werkes; sie sind tief in unserer Biologie verwurzelt und beeinflussen uns auf einer Ebene, die wir oft kaum bewusst wahrnehmen.


Farben sind die stille Kraft der Kunst. Sie können uns beruhigen, aufwühlen, zum Lachen bringen oder zu Tränen rühren. In den Händen von Künstler*innen werden Farben zu Werkzeugen, mit denen emotionale Landschaften entstehen, die uns einladen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Die moderne Neurowissenschaft erkennt Farbe längst als starken Reiz an – kein Wunder also, dass Kunstschaffende seit Jahrhunderten diese Kraft nutzen, um unsere Wahrnehmung zu formen.


Die Symbolik der Farben in verschiedenen Kulturen



ree


Farben sprechen nicht nur durch Künstler*innen, sondern auch durch kulturelle Perspektiven – und ihre Bedeutungen unterscheiden sich weltweit erheblich.In westlichen Kulturen steht Schwarz meist für Trauer, Tod und Geheimnis, während in östlichen Traditionen wie Japan Weiß diese Rolle übernimmt. Weiß symbolisiert dort Abschied und Vergänglichkeit. In westlichen Kontexten dagegen steht es für Reinheit und Neubeginn. Ein und dieselbe Farbe kann je nach Kultur also völlig gegensätzliche Bedeutungen tragen.


Ein berühmtes Beispiel für den emotionalen Einsatz von Farbe ist Pablo Picasso. In seiner „Blauen Periode“ verwendete er dunkle Blautöne, um Trauer und Nachdenklichkeit nach dem Tod eines Freundes auszudrücken. Diese Farbe dominiert seine Werke jener Zeit und vermittelt Einsamkeit und Melancholie. Als sich Picassos Stimmung wandelte, begann seine „Rosa Periode“, in der warme Töne eine Phase des Heilens und der Erneuerung symbolisieren.


Pablo Picasso - La Repasseuse. Image in the public domain, source: GetArchive






Grün steht im Westen für Natur, Frieden und Fruchtbarkeit, in islamischen Kulturen hingegen für das Paradies und die heilige Verbindung zum Göttlichen.Auch in westlicher Kunst gilt Grün als Symbol für Wachstum und Neubeginn.In China hat Rot eine andere Bedeutung: Es steht nicht für Gefahr, sondern für Glück, Freude und Wohlstand und wird bei Hochzeiten und Festen als Glücksfarbe verwendet.Im Westen hingegen signalisiert Rot oft Dringlichkeit oder Leidenschaft.In Indien schließlich gilt Gelb als Farbe der Heiligkeit und Weisheit – buddhistische und hinduistische Mönche tragen gelbe Gewänder als Zeichen der Erleuchtung.


Das Verständnis der Farbensymbolik verschiedener Kulturen ist mehr als eine interessante Randnotiz – es ist der Schlüssel zu einem tieferen Verständnis von Kunst.Künstler*innen auf der ganzen Welt nutzen kulturelle Codes, um universelle Emotionen zu vermitteln und gleichzeitig gezielte Reaktionen hervorzurufen.


Künstler*innen und ihre Beziehung zu Farben


Viele Künstler*innen entwickeln eine enge, persönliche Beziehung zu den Farben, die sie verwenden.Henri Matisse etwa, berühmt für seine leuchtenden, lebensfrohen Töne, nutzte Farbe als zentrales Ausdrucksmittel für Vitalität und Freude. Seine Gemälde strahlen Licht und Energie aus und feiern das Leben selbst in seinen schlichtesten Momenten. Matisse’ Werke sind nicht nur visuell überwältigend, sondern auch eine Hommage an die Freude des Daseins.


Ganz anders ging Wassily Kandinsky vor: Er erforschte die spirituelle Dimension der Farbe. In seinem Buch Über das Geistige in der Kunst beschreibt er, wie Farben seelische Schwingungen hervorrufen. Für ihn stand Blau für Tiefe, Frieden und Unendlichkeit, während Gelb Unruhe und Spannung ausstrahlte.


Farben in der zeitgenössischen Kunst


Zeitgenössische Künstler wie James Turrell und Olafur Eliasson definieren den Umgang mit Farbe neu, indem sie Licht und Technologie einsetzen, um immersive Räume zu schaffen, die Betrachter*innen vollständig einbeziehen und tiefe emotionale Reaktionen hervorrufen.


Sie verwenden Farbe nicht nur als Pigment, sondern als Licht, das den Raum formt und Wahrnehmung verändert.


"The Light Inside" installation, by James Turrell, at the Museum of Fine Arts, Houston, Texas. Image in the public domain, source: GetArchive.
"The Light Inside" installation, by James Turrell, at the Museum of Fine Arts, Houston, Texas. Image in the public domain, source: GetArchive.

James Turrell nutzt Licht als sein wesentliches Material. In seinen Arbeiten entsteht Farbe durch Licht, das den Raum erfüllt und beinahe greifbar wirkt. Seine „Skyspaces“-Serie mit offenen Deckenöffnungen lässt natürliches Licht in den Raum einfallen, dessen Farbe sich im Tagesverlauf verändert. Diese Nuancen schaffen ein Gefühl des Schwebens und ermöglichen es Betrachter*innen, sich auf einer intuitiven, fast spirituellen Ebene mit Farbe zu verbinden.


In seinem Projekt Roden Crater in Arizona kombiniert Turrell natürliches und künstliches Licht, um die Wahrnehmung des Himmels zu transformieren. Der Raum selbst wird zu einem Instrument, das Beobachtung und Bewusstsein vertieft.


Auch Olafur Eliasson arbeitet mit Licht und Farbe auf innovative Weise.Sein berühmtes Werk The Weather Project (2003) in der Turbinenhalle der Tate Modern in London nutzte monochromes Licht, Spiegel und Nebel, um eine künstliche Sonne zu erschaffen. Besucherinnen wurden Teil des Werkes, indem sie sich auf den Boden legten und ihre Spiegelbilder betrachteten.Eliassons Your Rainbow Panorama (2011) – ein kreisförmiger Korridor aus farbigem Glas auf dem Dach des ARoS-Museums in Dänemark – lässt die Stadt je nach Bewegung der Betrachterinnen in ständig wechselnden Farben erscheinen. Farbe wird hier zu einer lebendigen Erfahrung, die sich mit jedem Schritt verändert.


Turrell und Eliasson zeigen, dass Licht und Farbe weit über traditionelle Kunstformen hinausreichen. Ihre Arbeiten sind multisensorische Erlebnisse, in denen Kunst, Wissenschaft und Technologie verschmelzen, um zu erforschen, wie Licht, Farbe und Raum unsere Emotionen und unsere Wahrnehmung formen.



Farben sind nicht bloß dekorative Elemente eines Kunstwerks; sie sind ein wesentliches Ausdrucksmittel der Kunst. Durch Schichten aus Blau, Rot, Gelb oder Grün offenbaren Künstler*innen ihre inneren Welten und laden uns ein, Emotionen, Gedanken und Ideen gemeinsam zu erleben.Ob das beruhigende Blau, das leidenschaftliche Rot oder das nachdenkliche Grau – Farben sind die universelle Sprache der Kunst, die uns alle verbindet, unabhängig von Kultur und Sprache.



bottom of page