MANSI RAWAL
- ARTISTIC HUB MAGAZINE

- 1. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 4 Tagen
INDIA | DEUTSCHLAND
Linien, die sich an das Schweigen erinnern
In Mansi Rawals Werk verlangt Präsenz keine Aufmerksamkeit, denn sie ist einfach da. Jede Farbe, jede Textur, jeder Raum trägt die Spur von etwas bewusstem und zutiefst Persönlichem. Ihr kreativer Prozess beginnt im Inneren - geformt durch Gefühl, Erinnerung und einen leisen Impuls, der nach Gestalt sucht. Was daraus entsteht, wird von einer besonderen Achtsamkeit geleitet und dem stillen Entschluss, das Zarte vor dem Verlust in der Hast zu bewahren.
Dieses Gespräch verfolgt keine äußeren Ereignisse, es folgt inneren Bewegungen. Dem Weg, wie sich Emotionen formen, wie Wahrnehmung ihre Sprache findet und wie Kunst zu einem Raum wird, den auch andere bewohnen können.

Wenn du dich ohne biografische Details vorstellen würdest - wer bist du als schöpferischer Mensch? Wer ist die Frau hinter den Zeichnungen, den Farben und der Stille?
Ich bin jemand, der zuerst zuhört - aufmerksam und geduldig. Bevor Farbe oder Linie das Papier berühren, sammle ich die Stille, die Gesten, die unscheinbaren Momente, die meist unbemerkt vorübergehen. Meine Kunst beginnt nicht mit einer Entscheidung, sondern mit einem Gefühl. Ich kreiere nicht, um zu erklären, sondern um Zeugnis abzulegen - weil ich an die Tiefe dessen glaube, was im Flüstern liegt. Hinter den Zeichnungen steht eine Frau, die tief empfindet, die in Schichten sieht und Zerbrechlichkeit als Stärke ehrt. Ich finde Schönheit in der Zurückhaltung und Ehrlichkeit in der Unvollkommenheit. Die Farben, die ich wähle, tragen Erinnerungen; die Linien - Absicht. Nichts ist überstürzt. Nichts laut - außer es muss sein. Und irgendwo in mir lebt das kleine Mädchen, das einst von einem solchen Leben träumte: eingetaucht in Kunst, barfuß in der Fantasie, am glücklichsten mit einem Stift oder Pinsel in der Hand. Sie glaubte an Schönheit, an stille Magie und an die heilende Kraft des Schaffens. Ich glaube, auf viele Weisen werde ich ihr immer ähnlicher. Ich bin hier, um wahrzunehmen, zu fühlen und über jene stillen Wahrheiten nachzudenken, die unter dem Lärm leben.
Wann wurde Kunst in deinem Leben nicht nur ein Hobby, sondern ein Bedürfnis? Erinnerst du dich an den Moment, in dem dir klar wurde, dass Malen mehr als nur Spiel ist, sondern eher etwas Wesentliches für dein Sein?

Kunst wurde für mich zu einem Bedürfnis und nicht mehr nur zur Beschäftigung in einem bedeutenden Wendepunkt meines Lebens - in sehr jungen Jahren. Es war nichts, dem ich aus Spaß nachging. Es war etwas, nach dem ich fast instinktiv griff, um das zu verstehen, was ich fühlte, wenn Worte versagten. In der Schule lernte ich gerne. Ich war neugierig auf alles - Geschichte, Naturwissenschaften, Sport und Technik. Aber es waren immer die Kunst und die Bücher, die mein Herz wirklich berührten. Sie hatten meine volle Aufmerksamkeit wie nichts anderes. Sie beruhigten das Außen und gaben dem eine Form, was ich gerade erst zu begreifen begann. Schon als Kind nahm ich mir bewusst Zeit für Kunst und Schreiben. Ich zeichnete, malte, bastelte, gestaltete Karten oder Geschenke - kleine Gesten, um die Verbundenheit mit anderen zu ehren. Kunst war meine Art zu verbinden, zu feiern, was mir bedeutungsvoll erschien. Doch für die meisten war es „nur ein Hobby“.
Mehr als einmal hörte ich, es sei Zeitverschwendung, das ernsthaft zu verfolgen. Doch mein Herz hörte nie darauf. Je tiefer ich in die Kunst eintauchte, desto mehr entdeckte ich, dass sie mir nicht nur Ausdruck bot -sondern Perspektive. Sie zeigte mir Wege des Sehens und Seins, durch die ich Komplexität halten, Bedeutung finden, Nuancen würdigen konnte. In diesem Moment wurde mir klar, dass Malen kein Spiel war, sondern vielmehr ein Teil meines Wesens. Es wurde zu einer zweiten Sprache für Gefühle, die ich noch nicht benennen konnte.
Und obwohl ich meine Kunst nicht immer offen zeigen oder mich frei als Künstlerin bezeichnen konnte, war dieser Teil von mir nie verschwunden. Ich trug ihn leise in mir - über Jahre. Erst jetzt habe ich mich entschieden, diesen Ruf zu ehren. In den Traum zurückzukehren, den das kleine Mädchen einst mit so viel Hoffnung geträumt hat. Ich habe ihn nie wirklich verlassen - ich kehre nur zurück. Diesmal mit Absicht. Kunst ist für mich noch immer Spiegel, Anker und Zuflucht. Geboren aus einem tiefen, beständigen Bedürfnis, mich selbst, andere und die Welt zu berühren.
Du lebst heute in, bist aber in Indien aufgewachsen. Wie haben diese beiden geografischen Räume - zwei so unterschiedliche Welten, deinen Blick auf das Leben, auf Farben, Strukturen und das Schweigen geprägt?
Zwischen zwei so unterschiedlichen Orten zu leben - jeder mit seinem eigenen Rhythmus, seinen eigenen Formen der Stille und des Seins - hat meinen Blick auf das Leben, auf Farben, Strukturen und selbst auf das, was fehlt, tief geprägt.
Aus dem einen trage ich ein starkes Gefühl von Verwurzelung in mir, eine stille emotionale Erinnerung, die ihren Weg in die Wärme meiner Farbpaletten findet, in die Intimität der Linien und in die Art, wie ich Raum für Gefühle halte.Vom anderen habe ich die Schönheit der Klarheit gelernt, die Eleganz der Zurückhaltung und die Kraft, die in der Stille und im Alleinsein liegen kann.
Beides zusammen hat mich gelehrt, Kontraste nicht als Widerspruch zu erleben, sondern als Harmonie. Meine Arbeiten entstehen oft genau in diesem Zwischenraum - dort, wo Weichheit auf Struktur trifft und Gefühl auf Form. Ich glaube, genau zwischen Spannung und Zärtlichkeit beginnt etwas Ehrliches zu entstehen.
![Mansi Rawal, Saṃsāra-[Wandering-through]. 2024, Mixed Media on canvas, 50x50 cm_ARTISTIC HUB MAGAZINE](https://static.wixstatic.com/media/d92981_b9c3471c03914e17b0e6b272b08bf907~mv2.jpg/v1/fill/w_596,h_600,al_c,q_80,enc_avif,quality_auto/d92981_b9c3471c03914e17b0e6b272b08bf907~mv2.jpg)
Deine Arbeiten wirken intuitiv und gleichzeitig sehr bedacht und sorgfältig komponiert. Wie sieht dein kreativer Prozess aus? Sitzt du mit einer klaren Idee vor dem weißen Blatt - oder lässt du dich eher vom Gefühl leiten?
Meist beginne ich mit einer leisen Idee, etwas Kleinem, wie einem Wort, einer Farbe oder einem Bild, das in mir nachklingt. Das große Ganze habe ich dabei selten vor Augen.Ich lasse bewusst Raum, damit die Arbeit von selbst wachsen kann.Eine gewisse Struktur hilft mir beim Einstieg - manchmal mache ich eine Notiz oder eine kleine Skizze, einfach um mich zu verankern. Aber sobald ich beginne, folge ich mehr dem Gefühl als dem Plan. Manche Werke entstehen aus einem klaren Gedanken oder einer Emotion. Andere verstehe ich selbst erst viel später.
Ich versuche, den Prozess nicht zu sehr zu kontrollieren. Wenn ich zu viel nachdenke, wird die Arbeit schwer. Dann halte ich inne, mache eine Pause, trete einen Schritt zurück. Oft kommen die ehrlichsten Momente genau dann, wenn ich etwas loslasse. Für mich geht es nicht darum, sich zwischen Planung und Intuition zu entscheiden. Es geht vielmehr darum, zu spüren, wann und wie viel man sich auf welches von beidem einlassen darf. Ich sehe es als ein stilles Gespräch zwischen beidem - ein Hin und Her, das der Arbeit ihren ganz eigenen Rhythmus verleiht.
Dein Werk wirkt still, fast meditativ. Und doch scheint jedes Bild eine Geschichte zu tragen, ein Echo der Erinnerung, eine innere Landschaft. Sprichst du in deiner Kunst über dich selbst, oder lässt du Raum, damit andere sich darin wiederfinden?

Beides, denke ich. Vieles beginnt in mir - mit einem Gefühl, einer Erinnerung, einer leisen Frage, die mich begleitet. Doch ich male nicht, um von mir zu erzählen. Es geht nie ums Erklären. Es geht um Verbindung. Wenn ich arbeite, spüre ich oft etwas, das noch nicht greifbar ist. Ein Moment, der nachklingt. Ein Gefühl, das sich nicht benennen lässt. Genau dort setzt etwas an. Und sobald das Werk beginnt, Form anzunehmen, wird es größer als ich. Es geht weiter. Es wird zu etwas Eigenem, offen für andere Gedanken, andere Erinnerungen. Es passiert nicht selten, dass Menschen mir sagen, sie hätten in einem meiner Bilder etwas ganz anderes entdeckt als das, was ich selbst gefühlt habe. Und genau das berührt mich. Denn darin liegt für mich die Kraft von Kunst - sie beginnt vielleicht bei mir, aber sie endet dort nicht. Sie schafft Raum. Raum für Stille, für Erinnerung, für Empfindungen, die nicht festgelegt oder begrenzt sind. Ich versuche bewusst, diese Offenheit zu bewahren. Meine Arbeiten sind persönlich, ja - aber sie bleiben durchlässig. Nur so können sie lebendig bleiben.
Wenn jemand deine Arbeit zum ersten Mal sieht, was wünschst du dir, dass er oder sie versteht oder fühlt?
Ich wünsche mir, dass sie etwas Echtes spüren. Auch wenn es nur zart ist. Auch wenn sie nicht sagen können, warum. Vielleicht ist es ein leiser Trost, vielleicht ein Gefühl von Ruhe oder eine Erinnerung, die sich zurückmeldet. Ich möchte nichts erklären. Was mir wichtig ist, ist, ob das Werk etwas berührt. Ob es einen Moment schenkt, in dem jemand innehält. Einen Augenblick, in dem man sich gesehen fühlt, getröstet oder einfach verbunden. Wenn das geschieht, dann hat meine Arbeit ihren Sinn erfüllt. Ich möchte nicht laut sein, sondern nah. Meine Bilder sollen dort ankommen, wo jemand gerade steht - nicht durch Worte, sondern durch Gefühl. Jede Linie, jede Farbe trägt etwas in sich, eine Spur von Emotion, von Nachdenken, von innerer Stille. Und vielleicht begegnet sich jemand genau darin selbst.

Mansi erschafft mit ihrer Kunst einen Raum, in dem Denken und Fühlen nicht getrennt sind. Sie spricht leise, aber mit Klarheit - so wie sie auch malt. In ihrer Art, die Welt zu betrachten, ist Kunst kein Ausdruck von Ego, sondern eine Form des Zuhörens. Sie ist da, ohne sich aufzudrängen, verbindet. Dieses stille Gespräch, das sie mit sich selbst und mit anderen führt, endet nicht mit dem letzten Pinselstrich, sondern lebt in den Farben, in den Linien, und in der Stille, die sie bewusst offenlässt für alle weiter, die bereit sind, wirklich hinzusehen.
Du kannst dieser wunderbaren Künstlerin und ihrer stillen, kreativen Welt weiterhin auf ihrer Website und auf Instagram folgen.









