LEONARDO ERLICH IM AMOS REX
- ARTISTIC HUB MAGAZINE

- 29. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Wenn die Realität ihren Halt verliert
Schon beim Betreten des Amos Rex in Helsinki beginnt das Vertraute, sich zu verändern. Wände biegen sich, Böden neigen sich, und das, was eben noch fest erschien, gerät in Bewegung. Der argentinische Künstler Leandro Erlich, einer der faszinierendsten Vertreter zeitgenössischer Installationskunst, lädt Besucherinnen und Besucher ein, ihre Wahrnehmung zu hinterfragen und Teil dessen zu werden, was sie sehen.

Die Ausstellung, die vom 8. Oktober 2025 bis zum 6. April 2026 zu sehen ist, markiert Erlichs erste große Präsentation in Finnland und in der nordischen Region. Bekannt dafür, die Grenze zwischen Wirklichkeit und Vorstellung aufzulösen, erschafft Erlich architektonische Illusionen, die mit Spiegelungen, Licht und Perspektive spielen. Das Publikum ist dabei nie bloßer Beobachter, sondern immer aktiver Teil des Geschehens. Sein bekanntestes Werk Bâtiment erscheint in einer neuen Version, inspiriert vom Helsinkier Stadtteil Katajanokka. Die Fassade eines Gebäudes liegt waagerecht auf dem Boden, während ein großer Spiegel darüber die Szene in einen traumähnlichen Moment verwandelt, in dem Besucherinnen und Besucher scheinbar über Wände gehen. Dieses Werk fasst das Wesen von Erlichs Schaffen zusammen und zeigt den feinen Übergang zwischen physischer Präsenz und optischem Spiel, zwischen dem, was wirklich ist, und dem, was wir zu sehen glauben.

Die Ausstellung zeigt außerdem The Cloud, Sidewalk, Lost Garden und Elevator Maze. Jedes Werk verändert den Raum auf seine eigene Weise und entzieht den Betrachterinnen und Betrachtern buchstäblich den Boden unter den Füßen. The Cloud bringt leise Poesie in den Alltag - mit zarten, schwebenden Formen aus Dampf und Licht. Sidewalk verwandelt einen Stadtpflasterweg in einen Spiegel, der die Perspektive umkehrt. Lost Garden verbindet Natur und urbane Umgebung, während Elevator Maze eine optische Illusion endloser Aufzüge erschafft, in der sich Raum und Orientierung sanft auflösen.

Leandro Erlich, 1973 in Buenos Aires geboren, erforscht seit über zwei Jahrzehnten, wie wir die Welt sehen und uns durch sie bewegen. Seine Installationen waren unter anderem auf der Biennale von Venedig, im MoMA PS1 in New York, im Mori Art Museum in Tokio und im Museo de Arte Moderno de Buenos Aires zu sehen. Auch wenn seine Sprache architektonisch ist, erschafft er keine Architektur, sondern Erlebnisse. Seine Werke existieren im empfindlichen Zwischenraum von Sehen und Verstehen.
Leandro Erlich, Bâtiment, 2004/2025. Foto © Tuomas Uusheimo / Amos Rex
Im Amos Rex wird diese Grenze fast unsichtbar. Die charakteristische unterirdische Architektur des Museums, durchbrochen von Kuppeln mit natürlichem Licht, bildet den idealen Rahmen für einen Künstler, der von Momenten der Unsicherheit lebt - in jenen Augenblicken, in denen sich die Wahrnehmung verschiebt und die Welt sich leise neu ordnet.
Wenn man die Ausstellung verlässt, scheint die Welt um einen herum dieselbe zu sein, und doch hat sich etwas im Inneren verändert. Für einen kurzen Moment wird spürbar, wie fein die Linie zwischen dem, was existiert, und dem, was man für existent hält, wirklich ist. In dieser Erkenntnis wird Leandro Erlichs Kunst nicht zur Illusion, sondern zum Spiegel der eigenen Wahrnehmung.
Ausstellung: Leandro Erlich
Ort: Amos Rex, Mannerheimintie 22–24, Helsinki
Zeitraum: 8. Oktober 2025 – 6. April 2026
Kuratorinnen und Kuratoren: Anastasia Isakova und Kai Kartio
Fotos: © Stella Ojala / Tuomas Uusheimo / Leandro Erlich Studio / Amos Rex, 2025








