REISEN MIT STIL
- ARTISTIC HUB MAGAZINE

- vor 4 Tagen
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Luxus auf Schienen, 1930 bis 1970
Stell dir einen Abend im Zug vor, wenn das Licht so weit gedimmt ist, dass Messing sanft glänzt und Glas die Konturen der Landschaft weichzeichnet. Zwischen den 1930er und 1970er Jahren war das Reisen mit der Bahn eine Lebensform, eine kleine Bühne für tägliche Rituale, auf der Komfort einer klaren Ordnung folgte und Eleganz selbstverständlich wirkte. Reisende betraten die Wagen wie Salons, überzeugt, dass eine Reise keine Pause, sondern bewusst gepflegte Zeit ist. Dieses Bild gründet nicht auf Nostalgie, sondern auf einer greifbaren Tradition, bewahrt in Archiven, Museen und den Dokumenten der Epoche.
Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter streichen dem Fahrschein über die Handfläche, als hielten sie den Takt des Abends, während im Speisewagen jemand eine Suppe bestellt, nur weil sie so gut duftet. Die Reise wird zur kleinen Bühne der Höflichkeit und der leisen Gewohnheiten, die die Fahrt zu einem Ritual formen.

Europa prägte dieses Ritual durch die Kultur der Compagnie Internationale des Wagons-Lits, besonders nach 1919, als die Simplonroute Paris mit dem Balkan und Istanbul über Mailand und Venedig verband. In den Salonwagen sprach man leiser, als ehre man die Zeit der anderen. Koffer ruhten in der Ecke, die Lederarmlehne unter dem Ellbogen gab ein Gefühl von Ordnung zurück. Niemand hatte es eilig. Der Kaffee kühlte gerade so weit ab, dass das Gespräch länger dauern konnte. Die Routen unterschieden sich im Verlauf, doch der Geist blieb derselbe. Die Abfahrt fühlte sich an wie ein Schritt auf die Bühne, und die Wagen erinnerten an private Salons. In den Côte d’Azur Pullmanwagen arbeiteten Meisterinnen und Meister der dekorativen Künste wie René Lalique und René Prou zusammen, sodass lackiertes Holz, satiniertes Glas mit figürlichen Motiven und dezente Metallakzente den Zug zu einem bewegten Werk der Innenraumkunst machten. Museen bewahren erhaltene Elemente und dokumentierte Arbeiten an genau diesen Wagen, was die Erzählung greifbar untermauert. Diese Details waren keine bloße Zier. Sie hießen die Reisenden willkommen, wie in einem gut geführten Haus.
Öffnet sich die Tür zum Speisewagen, ordnet sich die Szene. Man nimmt den Duft von Tee wahr, hört das kurze Klingen von Silber, sieht Porzellan gedeckt wie in großen Hotels und begegnet aufmerksamem Personal, das weiß, dass ein Essen auf Schienen mehr ist als eine Mahlzeit. Europa pflegte diese Kultur mit Regeln und einem Ton der Gastlichkeit, belegt in Handbüchern und Museumstexten. Das Abendessen hatte eine Abfolge, einen Code und einen Stil.
Jenseits des Atlantiks bekommt der Glamour ein schnelleres Tempo. Das Fenster wird zum Filmkader, und jeder Schritt in den Wagen wirkt wie eine Szene aus einem Reiseroman. Der Santa Fe Super Chief verbindet Chicago und Los Angeles und wird rasch zu einem Zug, in den Menschen mit klaren Erwartungen an den Service einsteigen. Das rot silberne Warbonnet, entworfen von Leland Knickerbocker in der Art and Color Section von GM, wird zu einer der bekanntesten Lackierungen der amerikanischen Eisenbahngeschichte. Dahinter steht ein straff organisiertes Servicesystem der Fred Harvey Company, mit standardisierten Mahlzeiten, Speisekarten und Arbeitsabläufen auf Hotelniveau. Das Personal merkt sich Gesichter und kleine Wünsche, und das Mittagessen trifft oft ein, als sei es schon am Vortag bestellt worden.
Embedded from YouTube: “Santa Fe Railway The Super Chief” by Backshop Rail Productions.
Wie das in der Praxis aussah, zeigen Jack Delanos Farbaufnahmen aus dem März 1943 in Albuquerque. In den von der Library of Congress bewahrten Bildern glänzt die Lokomotive, das Personal arbeitet nach einer präzisen Abfolge, und der gesamte Service dauert fünf Minuten.
Der Abend senkt sich sanft. Tischdecken sind makellos gebügelt, Gläser geben einen leisen, kurzen Klang. Zwischen den Stationen entstehen kleine Gesten der Solidarität. Jemand hält eine Tür, jemand bietet den Fensterplatz an, und die Reise fließt weiter wie Musik, die einen Gedanken nicht unterbricht.
Nach dem Krieg suchte Europa neue Verbindungen und klares Design. Der 1957 gestartete Trans Europ Express setzte als reines Erstklassennetz den Ton des Nachkriegsoptimismus. Der RAe TEE II bot ein Interieur, das bis heute frisch wirkt: eine Sitzanordnung 2+1 mit mehr Raum, warmes Holz, sanftes Licht, eine Bar als Treffpunkt und ein Restaurant mit 54 Plätzen. In diesen stillen Stunden auf den Schienen entfalteten sich ganze Biografien. Manche bereiteten eine Präsentation vor, manche lernten eine Sprache, manche blickten einfach durch das Glas und fanden die Geduld wieder, die Städte so oft nehmen. Dahinter stand die technische Eleganz des Mehrsystembetriebs und einer gedämpften Fahrt, im Vordergrund blieb das Versprechen, von Stadt zu Stadt in einem Zugabschnitt zu gelangen, mit klar definiertem Standard.
“Proefrit Trans Europ Express-trein (1957)”. Polygoon Hollands Nieuws. Netherlands Institute for Sound & Vision. Embedded from YouTube.
Heute erkennen wir dieses Erbe daran, wie wir uns im Zug hinsetzen und tiefer durchatmen. Manche Züge bewahren noch immer die Disziplin schöner Gesten. Eine Tasse Kaffee, ein kurzes Gespräch, eine Lampe, behutsam zurechtgerückt. Es genügt, wenn jemand den Tisch fast unbemerkt begradigt, und die Reise wird wieder zu Zeit, die einem Menschen gehört.
Das Ende einer Ära in Amerika hat ein genaues Datum. Am 1. Mai 1971 nahm Amtrak den Betrieb auf, und private Fernverkehrsverbindungen gingen auf einen einzigen Betreiber über. Luxus verschwand nicht über Nacht, doch er wich der Ökonomie des Zeitalters der Düsenflugzeuge und einem anderen Verständnis von Effizienz. In Europa hielt der Trans Europ Express die Messlatte noch eine Weile hoch, bevor Hochgeschwindigkeitszüge und Zweiklassenkonzepte die Führung übernahmen.
In dieser Welt sind die Regeln sichtbar: eine Fahrkarte auf dem Tisch neben Silberbesteck, Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter, die die Nummern prüfen, ein Abteil, das nach Politur und frischem Leinen duftet. Auf der Simplonroute wird seit 1919 das Abendessen auf Porzellan serviert, das die CIWL in Auftrag gab, von René Lalique signierte Paneele fangen das Licht ein, und der Service läuft wie in großen europäischen Hotels. Im Super Chief trägt die Lokomotive das vertraute Warbonnet, das Fred Harvey Team führt den Speisewagen, und Delanos Fotografien halten das Ritual vom Eintreffen bis zur Abfahrt fest. In den Zügen des Trans Europ Express sitzt man 2+1, die Bar ist der natürliche Treffpunkt, und der RAe TEE II führt ein Restaurant mit 54 Plätzen, das wie ein kleines Hotelbistro in Bewegung funktioniert.
Hier zeigt sich Eleganz in der Schlange vor dem Speisewagen, in der Kleiderordnung und darin, wie das Personal den Tisch deckt und vor der Nacht die Gläser abräumt. Am Ende des Tages bleibt das, was die Kunst des Lebens ausmacht: die Art, wie wir reisen, unsere Tischgewohnheiten, die Wahl des Platzes und der Raum des Wagens, der die Reise zu einer Erfahrung der Zeit macht.



