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ALEXANDER HERRMANN

Aktualisiert: 24. Apr.



Wo Geschmack zur Kunst wird


Der Name Alexander Herrmann steht nicht nur in der deutschen Gastronomieszene für Leidenschaft, Präzision und Innovationskraft – auch international gilt er als Symbol für kulinarische Exzellenz. Tief verwurzelt in der fränkischen Tradition, verwandelt Herrmann dieses Erbe in ein Sprungbrett für grenzenlose Kreativität. Saisonale Zutaten werden bei ihm zur Leinwand für Gerichte, die mit Aromen und Ästhetik gleichermaßen spielen. In diesem besonderen Interview nimmt er uns mit in eine Welt, in der Natur, Wissenschaft und künstlerisches Gespür aufeinandertreffen – um kulinarische Werke zu erschaffen, die Gaumen und Seele berühren.

Alexander Herrmann_Nils Hasenau_Artistic Hub Magazine
Alexander Herrmann, Photo by Nils Hasenau

Ihre Familie führt seit Generationen eine kulinarische Tradition in Wirsberg. Wie haben Ihre familiären Werte und die lokalen Traditionen Ihre einzigartige kulinarische Philosophie geprägt?


Die Philosophie entspringt letztlich aus uns selbst. Doch zunächst muss man definieren, was Familie bedeutet. Für mich ist Familie nicht ausschließlich die Geburtsfamilie, also jene, die sich durch Verwandtschaft oder Blutsbande definiert. Vielmehr ist Familie eine Art Gemeinschaft – eine Verbindung durch gemeinsame Ideen, Interessen, Werte und Einstellungen.

 

Ich habe beispielsweise Mitarbeitende, die seit über 25 Jahren an meiner Seite sind, also fast mein halbes Leben. Wir betrachten uns als Familie, bewahren dabei jedoch die nötige Distanz, um keine erzwungene Nähe entstehen zu lassen. Stattdessen pflegen wir eine echte, gelebte Nähe. Und aus dieser Philosophie heraus, eine Gemeinschaft mit dem Lebensinteresse zu haben, etwas Besonderes zu schaffen, ist durch unsere Verwurzelung in Franken unsere kulinarische Philosophie entstanden.

 

Natürlich hätte Ähnliches auch anderswo entstehen können, aber dann wäre es eine andere Art von Philosophie geworden. Auch in einer Stadt hätten wir vermutlich niemals diese Tiefe erreicht, wie sie bei uns auf dem Land gewachsen ist.



Sie sind bekannt für Ihre moderne Interpretation der fränkischen Küche. Wie gelingt es Ihnen, traditionelle Geschmäcker mit zeitgenössischen Techniken zu vereinen und einzigartige kulinarische Kunstwerke, welche die Erwartungen der Gäste übertreffen, zu schaffen?


Das verdanken wir natürlich zum einen unserem Fleiß, aber auch unserer besonderen Lage. Um es salopp zu sagen: Wir sind zwar nicht am Ende der Welt, aber man kann es von hier aus sehen. Wir befinden uns nicht in einem touristischen oder industriellen Zentrum. Wenn Menschen zu uns kommen, dann kommen sie gezielt – wir liegen an der Achse Berlin-München, und niemand fährt zufällig bei uns vorbei.

 

Diese Lage hat ihre Vor- und Nachteile, denn man bekommt nie nur die eine Seite der Medaille. Einerseits fehlt es an Industrie und anderen urbanen Ressourcen, andererseits verfügen wir über exzellente Landwirte und Produzenten in der Region. Dieses Potenzial haben wir genutzt, um ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. Es hat 15 bis 20 Jahre gedauert, um dies zur Perfektion zu bringen.

 

Mit unserem eigenen Food Scout und dem Future Lab „ANIMA“ haben wir eine Plattform geschaffen, auf der wir an der nächsten Stufe des Geschmacks forschen – vor allem mit saisonalen Lebensmitteln. So haben wir eine Eigenständigkeit entwickelt, die es in dieser Form nirgendwo anders gibt. Dadurch sind wir inzwischen unersetzbar geworden

 


AURA - Food to Remember - 2023-2024 (Sebastian Metzdorf - Metzemedia)_ARTISTIC HUB MAGAZINE
AURA - Food to Remember - 2023-2024; Phtoto by Sebastian Metzdorf - Metzemedia

Ihre Gerichte gleichen oft einzigartigen Kunstwerken auf dem Teller. Wie wichtig ist Ihnen die Ästhetik in der Präsentation von Speisen, und wie gehen Sie an die Kreation visuell beeindruckender Teller heran? 


Unsere Küche basiert auf zwei kreativen Phasen: Die erste kreative Phase findet im Future Lab „ANIMA“ statt. Etwa 20 % dessen, was auf den Teller kommt, basiert auf fermentierten, getrockneten, eingelegten und anders gereiften Produkten, die einen einzigartigen Geschmack erzeugen. Doch hier liegt der entscheidende Unterschied: Würden wir diese Produkte einfach so servieren, hätten wir zwar eine handwerklich hochwertige und kreative Küche, jedoch ohne den nächsten Entwicklungsschritt. Diesen zweiten kreativen Schritt setzen wir in unserem 2-Sterne-Restaurant AURA um, wo wir die Zutaten aus dem ANIMA mit frischen Produkten aus der Region verbinden und neue Gerichte entstehen. Dabei geht es nicht nur darum, natürliche Zutaten kunstvoll zu präsentieren, sondern auch um die Faszination dessen, was wir schaffen. Es geht um eine Erfahrung, die Herz, Seele und Verstand anspricht – ähnlich wie bei einem Kunstwerk, das man nicht nur betrachtet, sondern auch begreift. Unsere zweite kreative Leistung bringt Ästhetik und Innovation auf den Teller und hebt uns von allen anderen ab. Mit diesem Alleinstellungsmerkmal arbeiten wir bewusst gegen das „kulinarische Koma“ und schaffen stattdessen unvergessliche Erlebnisse – ein echtes Abenteuer für die Sinne. Wie ich gerne sage:

“Our stories become your memories.”


Sie verwenden regionale und saisonale Zutaten, entwickeln auf der Basis von Fermentationstechniken neue Geschmäcker, Gerüchte und visuelle Erscheinungen bekannter Lebensmittel – Wie wirkt sich das alles auf in Ihre Kreationen aus?


Das wichtigste Stichwort für uns ist das Alleinstellungsmerkmal. Wir sind nicht vergleichbar, weil wir so viel Herzblut, Kreativität und Unverwechselbarkeit in unsere Arbeit stecken und mit Lebensmitteln arbeiten, die einzigartig in ihrer saisonalen Perfektion sind. So wie jeder Wein von jedem Hang einen individuellen Geschmack hat, spiegelt auch jede Region ihre eigene kulinarische Identität wider. Oberfranken schmeckt selbstverständlich anders als Niederbayern, und Schleswig-Holstein hat ein anderes kulinarisches Profil als Nordrhein-Westfalen. Diese Besonderheiten machen wir uns zunutze – und zwar in absoluter Perfektion.

Late Night Snacks_Imperial_by Nils Hasenau_Artistic Hub Magazine
Late Night Snacks, Imperial; Photo by Nils Hasenau

Wie inspiriert Sie die Natur in der Umgebung Ihres Standortes und der Wechsel der Jahreszeiten zur Schaffung neuer Gerichte, die alle Sinne ansprechen?


Es gibt kaum etwas Schöneres als die Jahreszeiten, denn sie setzen natürliche Grenzen und lenken den Fokus auf Perfektion. Wenn eine Kirsche, insbesondere von unserer bevorzugten Sorte, nur an zehn Tagen im Jahr ihren Höhepunkt erreicht, brauche ich 380 Kilogramm davon. Gleichzeitig benötige ich Ideen und Techniken, um sie so einzulegen und haltbar zu machen, dass sie nicht nur das ganze Jahr über verfügbar bleibt, sondern auch neue Facetten ihres Geschmacks und ihrer Seele offenbart.

Dieses Potenzial nutzen wir, um unabhängig von den Jahreszeiten zu sein. Gebunden sind wir nur an den Moment, in dem das Produkt seinen perfekten Reifegrad erreicht. Wir bewegen uns in zwei Zeitdimensionen: Die erste ist die Erntezeit – der Moment, in dem das Produkt am besten ist. Die zweite ist die Zeit der Veredelung – wenn das Produkt durch Reifung seinen optimalen Geschmack erreicht. Auf diese Weise schaffen wir etwas Zeitloses.


Als Juror in der Show „The Taste“ hatten Sie die Gelegenheit, mit jungen Talenten zu arbeiten. Wie inspirieren Sie diese Erfahrungen und wie beeinflussen sie Ihre eigene kulinarische Entwicklung?


Unsere eigene Entwicklung ist eng mit dem Sparring verbunden, das wir in Wirsberg oder auch in Nürnberg mit dem Team pflegen. Wir treiben uns gegenseitig voran, indem wir uns die richtigen Fragen stellen: Was ist das nächste Level? Ist das schon gut genug, oder braucht es noch etwas anderes? So entstehen unsere einzigartigen Ergebnisse. Einige davon empfinden wir als sensationell, bei anderen erkennen wir, dass wir noch weitergehen und das nächste Level für uns erkunden müssen. In gewisser Weise sind wir unser eigenes „Entwicklungsraumschiff“, das ständig neue Horizonte erforscht.

 

Bei The Taste bekomme ich spannende Einblicke, wie Aromen auf andere wirken und wie Menschen in Stresssituationen mit Geschmack umgehen. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Aroma und Co. auch dann funktionieren, wenn sie unbedarft eingesetzt werden. Wenn ich die Löffel meiner Kandidaten probiere, ist das für mich ebenfalls eine Form der Entwicklung – ein Lernprozess, der meine eigene Arbeit inspiriert.


Ihre Leidenschaft für das Kochen geht weit über die Küche hinaus und umfasst das Schreiben von Büchern und das Leiten von erlebnisreichen Kochworkshops. Wie bereichert das Teilen Ihres Wissens und Ihrer Erfahrungen Ihre eigene künstlerische Vision?


Das Teilen ist im Grunde das Wichtigste. Sobald du eine Idee oder Vision nach außen gibst, wird sie nicht kleiner, sondern größer. Denn durch den Austausch kommen neue Blickwinkel hinzu, die sie bereichern und weiterentwickeln. Es ist wie in der Kommunikation: Sie besteht nicht aus dem, was gesagt wird, sondern aus dem, was der andere versteht. Genauso verhält es sich mit Visionen, Ideen und Geschmäckern. Durch das Teilen entfalten sie ihr volles Potenzial. Gleichzeitig entsteht ein positiver Druck, sich weiterzuentwickeln. Du kannst nicht stehen bleiben, sondern musst dich immer wieder neu erfinden. Dieser fortlaufende Prozess, sich Schritt für Schritt zu verbessern, wird durch den Austausch mit der Welt, mit Gleichgesinnten oder auch mit Andersdenkenden gefördert. Es ist genau dieser Austausch, dieses Sparring, das dich besser und stärker macht.


Lachsforelle Rote Bete, Imperial; Photo by Nils Hasenau for Chef Alexander Herrmann_Artistic Hub Magazine
Lachsforelle Rote Bete, Imperial; Photo by Nils Hasenau

In der Welt der Gastronomie sind Geschmack und Geruch entscheidend! Wie gehen Sie es an alle fünf Sinne in das kulinarische Erlebnis anzusprechen um Ihren Gästen das beste bieten können?


Die Geschmäcker, die wir auf der Zunge wahrnehmen, sind nur ein Teil des Ganzen. Das wahre Erlebnis entsteht durch das Zusammenspiel aller Sinne: Sehen, Riechen, Hören, Fühlen. Genau deshalb heißt unser Restaurant AURA – weil wir diese Sinne vollständig einbeziehen.

 

Es beginnt schon bei der Art, wie ein:e Mitarbeiter:in aus der Küche oder vom Service an den Tisch kommt und ein Gericht präsentiert. Es braucht eine authentische, ungezwungene Freude. Diese Freude muss gelebt und geliebt werden, denn sie zeigt sich in kleinen, nicht inszenierbaren Momenten – in der Mimik, der Gestik, der Haltung. Solche Details gehen direkt ins Herz. Sie strahlen eine besondere Energie aus, die man sehen, hören und vielleicht sogar schmecken kann, vor allem aber fühlt.

 

Unsere Stärke liegt in genau dieser Art, Dinge zu tun. Es ist der Stolz auf das, was wir in den letzten 10 bis 15 Jahren aufgebaut haben – eine Entwicklung, die unsere Handschrift und unser Wesen ausmacht. Das ist unsere wahre Kraft und mein ganzer Stolz.


Alexander Herrmann zeigt in diesem Gespräch eindrucksvoll: Gastronomie ist mehr als Handwerk – sie ist Kunst in ihrer reinsten Form. Dort, wo Geschmack, Kreativität und Erzählkraft ineinandergreifen, entsteht etwas Bleibendes. Seine konsequente Suche nach Exzellenz, sein tiefer Respekt vor der Natur und sein Mut zu Innovation verwandeln jedes Gericht in eine moderne Interpretation von Tradition. In Herrmanns Händen wird Essen zu einem Erlebnis – es berührt das Herz, beflügelt die Fantasie und hinterlässt Erinnerungen, die weit über den letzten Bissen hinaus nachhallen.


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