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Reinhard Riedel über Handwerk, Intuition und die ewige Suche nach Perfektion

DEUTSCHLAND


KUNST ALS DURCHDACHTER PROZESS


Manche Künstler erschaffen nicht impulsiv, sondern durchdacht, indem sie Handwerk, Intuition, Wissenschaft und Emotion in einen perfekten Einklang bringen. Reinhard Riedel ist genau ein solcher Künstler, der die Logik von Zahlen und Algorithmen aus der Mathematik und Informatik auf die Leinwand überträgt und sie in eine präzise gestaltete künstlerische Vision verwandelt.

Als Autodidakt hat er das handwerkliche Können seiner Familie mit Techniken kombiniert, die er über Jahre hinweg perfektioniert hat – von Airbrush und Pastell bis hin zu Öl und Acryl, ergänzt durch Metallfolien und Bootslack. Seine Kunst ist dynamisch und verändert sich mit dem Licht, dem Blickwinkel und der Wahrnehmung des Betrachters.


In diesem Interview spricht er darüber, was Kunst im digitalen Zeitalter bedeutet, wie das Handwerk der Technologie standhält und warum Ausdauer genauso wichtig ist wie Talent.


Nach einer langjährigen Karriere im IT-Management haben Sie sich vollständig der Kunst gewidmet und dabei die analytische Präzision eines Informatikers und Mathematikers mit der intuitiven Ausdruckskraft eines Künstlers verbunden . Wie verlief dieser ungewöhnliche Übergang von der Technologiebranche ins Atelier, und inwiefern hat Ihr vielseitiger Hintergrund Ihren kreativen Prozess geprägt?


Wenn man unter Kunst im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit von Menschen versteht, die auf Wissen, Übung, Vorstellung und Intuition beruht, so gehören die Mathematik und die Informatik ohne Zweifel dazu. Die Mathematik ist ein künstliches Gebilde, ohne notwendigen Bezug zu unserer wahrnehmbaren Realität, das nach einfachen Regeln aufgebaut ist. Sie beginnt mit den Zahlen, den Zahlensystemen und baut darauf ein formales Gebilde auf nach dem Prinzip Behauptung und Beweis. Neben der Algebra gibt es dann als nächstes Strukturierungselement die Geometrie in den verschiedenen Dimensionen und den gleichen Grundprinzipien wie bei der Algebra.


In oder durch die Informatik entsteht noch deutlicher und  auf uns einflussnehmender künstlich eine Realität. Man nutzt dazu die Werkzeuge, den Computer, die Programme und die sich daraus entwickelnden, künstlich geschaffenen und dann zur Realität gewordenen Gebilde, wie das Internet. Jedes Programm, jede Technik zwingt den Anwender in eine für ihn zunächst künstliche Realität, die dann aber zu seinem Leben wird. Aus meiner Sicht ist dies der künstlerische Schöpfungsakt schlechthin. Etwas pathetisch so etwas wie (natürlich nicht biologisches) Leben. Denn was aus dem Internet, Facebook, TikTok u.a. sich dann entwickelt, irgendwie evolutionär, ist beim „Schöpfungsakt“ nicht vorhergesehen. Darin liegen jetzt aktuell die Möglichkeiten und Gefahren der KI. Verhindern durch Verbote lässt sich diese künstliche Welt nicht. Sie entsteht und was daraus wird ...


Ich selbst bin vom Typus her nicht Techniker, sondern Künstler; sicherlich geprägt durch das Handwerkerelternhaus. Der Weg zur Informatik/Mathematik ist jetzt wohl nachvollziehbar. Somit auch die Konzentration auf das Zugrundeliegende, der Kunst, nach dem Berufsleben.


Als Autodidakt stammen Sie aus einer Familie von Handwerkern und haben über Jahrzehnte hinweg Ihre Fähigkeiten in der Schreinerei, Schmiedekunst und im Mauerhandwerk verfeinert. Wie haben diese traditionellen Handwerkskünste Ihre Maltechnik beeinflusst, und warum vertreten Sie die Ansicht, dass „die Kunst aus dem Handwerk erwächst“?

Reinhard Riedel, ARTIST

Handwerklich geprägt will man etwas (auch) Können. Aus dem Probieren, dem Nachahmen muss sich dann das professionelle Können entwickeln. Professionell heißt, dass man etwas wiederholen kann. Nur wenn man etwas wiederholt, kann man vergleichen. Um zu vergleichen, muss man messen und daraus verbessern, anpassen. Dass man dann etwas bewusst weglässt, etwas Nichtkönnendes bewusst als Können einsetzt, eröffnet dann handwerklich alle Wege zur Kunst.


Ihr Werk ist stark von figurativen Motiven und Realismus geprägt, während abstrakte Kunst Sie nie wirklich angesprochen hat. Was fasziniert Sie kontinuierlich an der realistischen Darstellung der menschlichen Figur und der vergänglichen Schönheit der Jugend im Gegensatz zu abstrakten Formen?


Vor vielleicht 50 Jahren schlug ich einen Bildband auf und mir war sofort klar, ich möchte so malen können wie Gottfried Helnwein; nicht so wie bei seinen die provokativen Themen, sondern in der jugendlichen vergänglichen Schönheit. Malt man figurativ und dazu noch realistisch, dann lässt man den Betrachter nicht viel Spielraum oder Interpretationsmöglichkeiten. Man legt sich fest und dem Betrachter gefällt die Komposition und bei Porträts der Typus, oder eben nicht. Dass es dann gerade bei den Porträts auf Zufälligkeiten ankommt, die nicht reproduziert werden können, zeigt ja die Mona Lisa. Dieser besondere Ausdruck lässt sich, wohl sehr oft versucht, nicht reproduzieren und ist immer, glaube ich, in der Gesamtbetrachtung zufällig. Also für mich so wie das Leben eben spielt.


Anders die abstrakte nicht figurative Welt. Einmal sind hier auch die Grundtechniken entscheidend: Spachteln, Schütten, Vermischen, Texturen, Farbtypen u.a. Der wirkliche Meister nutzt diese Zufälligkeiten oder durch den Arbeitsprozess zwingend entstehenden Texturen, um auf dieser oft zufälligen Ausgangslage das wirkliche Kunstwerk zu erschaffen. Und da eben nicht realistisch, kann der Betrachter hier etwas hineininterpretieren; ob es vom Künstler so gewollt wurde ist, dabei eigentlich unerheblich.



Modefotografie und künstlerische Foto-Manipulation haben einen starken Einfluss auf Ihre Arbeit hinterlassen. Welche Elemente dieser Welt inspirieren Sie am meisten, und wie übertragen Sie diese visuellen Konzepte auf die Leinwand bei der Gestaltung Ihrer Kompositionen?


Nur das Schöne, das Besondere in der Komposition; eben das, was mir gefällt. Die künstlerischen Foto-Manipulation für mich als Ideengeber wird immer unwichtiger. Denn die digitalen Möglichkeiten, jetzt aktuell mit der KI, liefern mir ja mehr Anregungen und Ideen, als ich jemals umsetzen kann.


Über Jahre hinweg haben Sie eine mehrschichtige Maltechnik entwickelt, bei der Sie verschiedene Medien kombinieren – von Airbrush und Pastell bis hin zu Aquarell, Öl und Acryl – um Tiefe und Haptik in Ihren Werken zu erzeugen. Zusätzlich setzen Sie klassische Acrylstrukturen, Metallfolien und sogar Bootslack ein, um einzigartige Textureffekte zu erzielen, die maschinell nicht replizierbar sind. Was hat Sie zu diesem experimentellen Ansatz bewogen, und wie trägt er dazu bei, dass Ihre Werke in einer Ära digitaler Bilder unverwechselbar bleiben?


Reinhard Riedel , Artist

Die Maltechnik bestimmt maßgeblich das Endergebnis. Die entsprechenden Filter in Zeichenprogrammen, die aus einem Foto ein Aquarell, eine Bleistiftzeichnung oder ein Ölbild generieren zeigen dies ja sehr deutlich.


Meine Idee war, die unterschiedlichen Maltechniken in geeigneter Weise alle anzuwenden und so den jeweiligen Vorteil daraus zu nutzen. Aus der Komposition, die ja der eigentliche Schöpfungsprozess ist, entsteht dann am Bildschirm das beabsichtigte Objekt. Unwichtig sind hier, anders bei Designer, die Details wie z.B. Farbübergänge. Denn beim Malen kann ich Details anpassen. Das vom Designer mit den allen technischen Möglichkeiten entworfene Bild kann als Print auf Papier oder eine Leinwand ausgedruckt werden. Damit kann sich kein realistisch arbeitender Maler messen. Aber das Ergebnis ist ohne Tiefe, ohne Strukturen und Reflexionen. Durch meine Techniken erzeuge ich dann den Mehrwert, den der normale Print rein technisch nicht erreichen kann.


Bemerkenswert ist, dass Sie derzeit ausschließlich im Format 38 × 38 cm malen und mehrere dieser Werke zu größeren Polyptychen zusammenfügen, um dem Publikum unterschiedliche visuelle Perspektiven und eine interaktive Erfahrung zu ermöglichen. Was hat Sie zu diesem modularen Präsentationsansatz inspiriert, und wie beeinflusst er die Wahrnehmung Ihrer Kunst durch den Betrachter?


Wie immer besteht das Leben aus Zufällen. Vor Jahren stellte ich auf einer Kunstmesse meine Skulpturen aus. Das sind lebensgroße Standfiguren, nicht überraschend auch realistisch. Ich hatte also oberhalb der Figuren noch Platz für Bilder. Allerdings keine großen Formate; also kleinformatig. In der Zeit nach der Pandemie waren die von mir eigentlich geplanten Keilrahmenleiste in 40 cm Länge nicht vorrätig; daher die 38 cm. Da ja auf Kunstmessen eine Petersburger Hängung nicht zugelassen ist,  kam ich auf die Idee der Anordnung als Collage; also wie kann man möglichst viel zeigen, ohne in den Konflikt zum Kurator zu gelangen. Eine Galerie sprach mich dann an und meinte, die Einzelbilder interessieren sie weniger, aber die Collage sehr wohl.


Aus meiner Sicht eröffnet mein Ansatz jetzt alle Möglichkeiten, die man mit Bildern zweidimensional überhaupt erreichen kann. Einmal das Einzelbild, idealerweise aufgewertet durch einen Schattenfugenrahmen. Dann die Hängung nebeneinander oder übereinander; thematisch, farblich oder willkürlich geordnet. Da quadratisch, kann man das Bild auch drehen. Der Interessent kann sich zudem sein eigenes Kunstwerk schaffen. Er wählt nach seinem Geschmack aus, ordnet und kann sein Kunstwerk bei entsprechender Hängung auch wieder verändern. Durch die Collage entstehen verschiedene Blickachsen, was verwirrt oder eine Spannung erzeugt. Idealerweise entsteht dann beim Betrachter ein „Film“, da er je zu keinem Zeitpunkt das Bild als Ganzes fixieren kann.





Basierend auf Ihren eigenen Erfahrungen haben Sie betont, dass der Weg zur „Meisterschaft“ in der Kunst durch langjährige, engagierte Arbeit führt – Sie erwähnen die bekannte Regel von etwa 10.000 Übungsstunden als wichtiger als das reine Talent. Welchen Rat würden Sie jungen Künstlern geben, die sich am Anfang ihres kreativen Weges befinden und nach ihrem eigenen künstlerischen Ausdruck suchen?


Die 10000 Stunden sind ein Synonym für das sog. Meisterniveau. Das ist das handwerkliche Niveau, das man allein durch Fleiß und Ausdauer erreichen kann. So behauptete einmal ein Leiter eines Symphonieorchester, dass in dieser Zeit jeder Mensch (die körperliche Fähigkeit vorausgesetzt) ein Instrument bei ihm spielen kann. Ob er zum Solisten taugt, oder hier ein Picasso entsteht, kann auch aus eigenem Erleben durch Fleiß leider nicht erzwungen werden.


Ich glaube, dass ein junger Künstler keinen Rat von mir braucht. Er wird für sich mit etwas beginnen, dann ausprobieren, variieren und wenn er wirklich Künstler aus Leidenschaft  ist, dann auch auf die 10000 Stunden kommen. Damit hat er für sich sein kunsthandwerkliches Meisterniveau erreicht und seine künstlerische Individualität zwangsläufig gefunden. Und wir alle hoffen, dass all der Fleiß und die Ausdauer auf das Talent und Genie trifft und viele Picassos die Kunstwelt auch zukünftig begeistern werden.


Reinhard Riedel , Artist


In einer Zeit, in der digitale Technologien zunehmend den Kunstbereich bestimmen, bleibt Reinhard Riedel überzeugt, dass wahre Kunst unersetzlich ist, weil sie die Handschrift und den Geist des Künstlers trägt. Seine Werke sind mehr als nur visuelle Darstellungen – sie sind dynamische Kompositionen, die sich mit Licht, Perspektive und der Wahrnehmung des Betrachters verändern.


Seine Kunst vereint Präzision und Emotion, handwerkliche Meisterschaft und kreative Freiheit, ohne dem Publikum eine feste Interpretation vorzugeben – vielmehr lädt sie dazu ein, eigene Geschichten zu entdecken.


Seine Botschaft an angehende Künstler ist klar – es gibt keine Abkürzungen zur Meisterschaft. Nur wer durch Beharrlichkeit, Forschung und kontinuierliches Lernen seinen eigenen Weg geht, wird seine wahre künstlerische Stimme finden.

 



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